Juli 2020
Wo roter Mohn tanzend blüht
Jetzt, im Sommer ist die Zeit des roten Mohns. Da blüht er üppig in den Feldern und an Wegrändern. Seine zarten roten Blüten wiegen sich im Wind wie in einem Tanz. Frühmorgens sind sie noch ganz zerknittert, wie hauchfeines Seidenpapier, bis sie sich völlig aufgefaltet haben. Dann werden sie den ganzen Tag eifrig besucht von Bienen und Schwebfliegen und Hummeln. Und am Abend liegen die roten Blütenblätter verstreut. Doch am nächsten Morgen sind die Felder wieder so rot betupft wie am Tag zuvor. In schier endloser Fülle erscheinen die leuchtenden Blüten den ganzen Sommer über.
Im Jahr 1918, zum Ende des ersten Weltkrieges, blühte der rote Mohn im November. Eine besondere Kraft wohnt dem winzig kleinen Samenkorn des Mohns inne: es kann ganz lange im Boden liegen, und wenn es ans Licht kommt dann keimt es und wächst zu einer Mohnpflanze, die blüht und neue Kapseln bildet, die dann – wie kleine Salzstreuer – wieder frische Samen ausstreuen.

In den von Bomben aufgewühlten Böden im Flandern des Novembers 1918 sahen plötzlich viele kleine Mohnsamenkörner das Licht, und auch wenn es das Licht des späten Herbstes war, keimten sie und wuchsen zu wogenden Mohnfeldern. So wurde der rote Mohn zum Symbol für neues Leben aus unermesslichem Tod und Leid.

Im Jahr 2006 bin ich dem Folksong “No Man’s Land” von Eric Bogle begegnet. Das Lied besingt eben dies: das Sterben so vieler junger Menschen in der Schlacht, die Mohnfelder am Ende des Krieges. Eric Bogle ist in Schottland geboren und nach Australien ausgewandert (der Sonnenuntergänge wegen, wie er selbst sagt). Ich habe ihn gefragt, ob ich sein Lied übersetzen und daraus ein Künstlerbuch machen darf. Er hat eingewilligt.
Entstanden ist dieses Leporellobuch, das in einer Mappe liegt. Ich habe in fünf rissige Eichenstücke verschiedene Motive von tanzenden Mohnblüten geschnitten und diese Holzschnitte als Illustrationen für das Künstlerbuch verwendet. Die Texte sind von Hand aus der Trajanus gesetzt – eine altgediente Schrift, der man ansieht, wieviel sie schon mitgemacht hat. Die Holzschnitte sind im Handabrieb und in mohnroter Farbe, die Texte auf der Andruckpresse in Schwarz gedruckt. Die Bogen sind kräftiges Büttenpapier, verbunden mit mohnroten Fälzen zu einem nahezu drei Meter langen Leporello. Die Mappe hat einen Verschluss aus mohnrotem Satinband und Buchszweigen. Buchs ist ein Symbol für das ewige Leben und wird deshalb häufig als Einfassung für Gräber verwendet.

Mehr zu diesem Künstlerbuch steht auf der Seite des Ateliers The Fork and Broom Press. Preis Euro 140,-


