Advent

Ramponiert im Dienst für Kultur und Wissen

Aus Gründen, die sich mir nicht vollständig offenbaren, finden immer wieder gerade die Geschundenen den Weg in mein Atelier auf der Suche nach einem Zufluchtsort. Meine erste Druckpresse war irgendwann in ihrer Laufbahn einmal nicht nur unsaft sondern auch unsachgemäß mit einem Hubwagen transportiert worden. Teile ihres Sockels waren dadurch dramatisch verbeult, was ihre Arbeisfähigkeit zwar nicht beinträchtigt, aber nunja – mit der gebotenen Sorgfalt wäre der Schaden zu vermeiden gewesen.

Verbeulte Verkleidung am Sockel der KORREX Hannover “Hand”

Unter den gut drei Dutzend Setzregalen in meinem Atelier sind einige sehr alte Stücke. Man erkennt das daran, dass sie nicht aus honighellem Buchenholz gefertigt sind, sondern aus Nadelholz, das mit den Jahrzehnten dunkel, ja fast schwarz geworden ist. Das weiche Nadelholz ist natürlich sehr viel empfänglicher für Schrammen und Dellen und mitunter lösen sich auch Splitter. Das macht die tapfere Rotbuch nicht. Ihr Holz wird traditionell gerne für Arbeitsgerät verwendet und erweist sich als ziemlich strapazierfähig. Die altgedienten Regale halten sich dennoch wacker. Es sind auch zum Teil raffinierte Stücke. Eines davon hat eine versenkbare Ablage für Schriftkästen, die an der linken Seite herauszgezogen und, wenn sie nicht mehr benötigt wird, wieder eingeschoben werden kann. Ein anderes dieser alten Regale hat ein Ablagefach mit einem recht liebevoll verzierten Eingriff. Aber auch unter den Buchenholzregalen gibt es welche, die Herbes ertragen mussten. Auf der Arbeitsfläche von einem unter ihnen haben sich Spuren einer Explosion eingebrannt, es gehörte einst zur Ausstattung bei einem Fotografen.

Bruchstellen an Bleilettern

Die eigentlichen Strapazen des Arbeitslebens zeigen sich aber an den Bleischriften. Sind die Lettern frisch gegossen, dann sind sie blitzblank, glitzern fast wie Silber, und haben scharfe Konturen. Bei einer altgedienten Schrift sind die Kanten der Lettern nicht mehr so scharf, die Enden der Serifen nicht mehr so spitz, der Gebrauch der Ahle hat Kratzer auf den Lettern hinterlassen, so manche Serife ist angebrochen oder fehlt ganz. Der harte Arbeitsalltag in der Buchdruckerei ging an den Bleischriften nicht spurlos vorüber. Bei hohen Auflagen und etwas zu viel Anpressdruck werden die vergleichsweise weichen Lettern zusammengepresst, sie werden breiter. Irgendwann sind sie so abgequetscht, dass sie kein gleichmäßiges Druckbild mehr erzeugen können. Dann wurden sie seinerzeit ausgemustert, zum Einschmelzen gegeben und durch neue Schrift ersetzt. Ich habe immer sehr gerne besonders mit dem alten, dem beschädigten, dem abgewetzten Material geabreitet. Die Schäden, die Abnutzung bezeugen den Einsatz für Wissen und Information, für Unterhaltung und Kultur. Über Jahrhunderte war der Buchdruck mit dem Bleisatz die einzige Drucktechnik zur Reproduktion von Texten. Mit diesen Verfahren wurden Schulbücher gedruckt und Romane, Handzettel, Etiketten, Theaterkarten, Anzeigen, wissenschaftliche Abhandlungen, Neujahrskarten, Doktorarbeiten, Gebrauchanweisungen, Kochbücher, Werbebroschüren und Propaganda, die Heftchen der Bänkelsänger ebenso wie Bibeln, Liederbücher und nummerierte Bons für die Ausgabe von Bratwürsten und Bier auf der Kirmes.

Sehr viel benutzte Bleischrift Trajanus, in dem Künstlerbuch “Cumbria”

Vor vielen Jahren nahm eine Druckerei Kontakt zu mir auf. Die gesamte Handsatzausstattung war noch da, und nun wurdePlatz gebraucht für neue Maschinen. Ich schaute alles durch und markierte die Regale, die ich übernehmen konnte. Eines Tages standen die beiden Schriftsetzerkollegen mit dem Siebeneinhalber mit Hebebühne vor der Werkstatttür. Es war einer der wenigen Fälle, in denen die Regale vor die Tür kamen und ich sie nicht selbst Stück für Stück mit dem alten Transit abgeholt habe. Ich hatte damals eine ausgewachsene Erkältung, aber ich hatte am Tag zuvor im Atelier umgeräumt, um Platz für die Neuzugänge zu schaffen, und nun mussten sie abgeladen werden. Eines davon war ein altgedientes Exemplar aus Nadelholz. Im Regal steckten mehrere Brotschriftkästen. Das sind Kästen, die die gesamte Breite des Regals einnehmen und sehr viel mehr Schrift fassen können. 

Brotschriftkasten – aufrecht an die Wand gelehnt,
davor liegend normalgroßer Antiquakasten

So können auch große Mengen Text aus derselben Schrift gesetzt werden. Wo normalgroße Schriftkästen bereits bei 20 Kilogramm Gewicht liegen können, bringen Brotschriftkstästen deutlich mehr auf die Waage. Neben einigen Schmuckeinfassungen und Messinglinien enthielt das Regal vor allem eine Schrift in mehreren Graden: die Trajanus. Was zu vermuten gewesen war, erhärtete sich bei genauem Hinsehen: diese Trajanus hatte viel und hart gearbeitet, und zwar in allen Schriftgraden. Sie war wohl gern und häufig verwendet worden, war offenbar eine der Schriften gewesen, die in dieser Druckerei „das Brot verdient“ hatten – daher ja auch der Name Brotschrift.

Sehr viel benutzte Bleischrift Trajanus auf einer Karte aus der Reihe Lyricards

Die Trajanus gehört zur Klasse der Renaissance-Antiquaschriften. Sie ist augenblicklich zu meiner liebsten Schrift geworden und ist es bis heute. Entgegen erster Befürchtungen druckt sie immer noch ganz wunderbar. Man sieht ihr die Jahre der harten Arbeit an, aber sie trägt ihr Alter mit Würde. 

Künstlerbuch “Wo roter Mohn tanzend blüht“,
Handsatz aus der Trajanus, Holzschnitte im Handabrieb gedruckt

Als ich im Jahr darauf beschloss, den Folksong „No Man‘s Land“ von Eric Bogle umzusetzen, fiel meine Wahl auf die Trajanus. Eben weil sie eine so altgediente Schrift war, wollte ich sie für eben diesen Text einsetzen, der von den vielen 19-jährigen Soldaten erzählt, die im Ersten Weltkrieg unter unsäglichen Strapazen ihr Leben lassen mussten. Eric ist Schotte und lebt mittlerweile in Australien (wie er augenzwinkernd sagt, der Sonnuntergänge wegen). Er hat mir freundlicherweise erlaubt, seinen Text ins Deutsche zu übertragen und für mein Künstlerbuch zu verwenden. Der Titel des Werkes ist eine Zeile aus dem Songtext: „Wo roter Mohn tanzend blüht“. Sie nimmt Bezug auf das Aufblühen des roten Klatschmohns in den von Bomben zerwühlten Flächen in Flandern im November 1918, als der bis dahin grausamste Krieg sein Ende gefunden hatte.

Künstlerbuch “Wo roter Mohn tanzend blüht“,
Handsatz aus der Trajanus, Holzschnitte im Handabrieb gedruckt

Die federleichten Mohnblüten zittern in der leichtesten Brise und ihre Konturen verschwimmen dann etwas. Bei stärkerem Wind nimmt man beinahe nur noch ihre Farbe wahr, wodurch der Eindruck eines roten Meeres entsteht, wenn man in ein Feld von Mohnblüten schaut. 

Künstlerbuch “Wo roter Mohn tanzend blüht“,
Handsatz aus der Trajanus, Holzschnitte im Handabrieb gedruckt

Für dieses Werk sind tanzende Mohnblüten in fünf Holzplatten geschnitten. Die Holzstücke sind aus Eiche und alle sind verworfen und gerissen. Die Motive sind nur ganz leicht ins Holz geschnitten, beinahe wurde das harte Holz nur angeritzt. 

Künstlerbuch “Wo roter Mohn tanzend blüht” mit Mappe,
Handsatz aus der Trajanus, Holzschnitte im Handabrieb gedruckt

Die unebenen Druckstöcke taugten freilich nicht für den Druck in der Presse, sie sind von Hand abgerieben. Es sind dies also die klassischen Reiberdrucke, wie sie auch schon im Mittelalter ausgeführt wurden. Bei diesen prägt sich auf der Rückseite das Relief des Druckstockes deutlich durch. In einem zweiten Durchgang wurde dann der Text auf der Druckpresse dazu gedruckt.

Alphabetkarte zur Bleischrift Trajanus

Das Werk ist als Leporellobuch gestaltet, aufgefaltet ergibt sich ein Zickzackblatt von annähernd drei Metern Länge. Die Druckbogen sind über mohnrote Fälze miteinander verbunden. Das Leporello wohnt in einer Mappe, die mit mohnrotem Satinband und Zweigstücken aus Buchsbaumholz verschlossen ist. Buchs ist oft als Einfassung an Gräbern verwendet. Er ist ein Symbol für ewiges Leben.

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