
Shit happens: Makulaturen in Satz und Druck
Wie so vieles haben uns den Ursprung dieses Begriffs die Römer dagelassen. Macula ist lateinisch und bedeutet Fleck, Mal, Schandfleck; maculo ist das Verb dazu und heißt folgerichtig ich beflecke, besudele, entweihe. Es gibt auch noch das Wort maculosus, das Adjektiv, es steht für buntgefleckt, wie bei einem Tierfell, aber auch für befleckt, besudelt, berüchtigt.

Unter Druckern werden diejenigen Druckbogen als Makulaturen bezeichnet, die fehlerhaft sind. Das können Flecken sein, ungleichmäßiger Farbauftrag, nicht korrekter Stand, aber auch Setzfehler, Falten im Papier und vieles mehr. Als Makulatur wird alles gewertet, was bei der abschließenden Qualitätskontrolle Mängel aufweist. Von einer neuen Druckform wurden zunächst beim Andruck die sogenannten Korrekturfahnen abgezogen, heute nennen wir diese Bogen „proofs“. Sie zeigten, ob noch Textkorrekturen nötig waren, ob Layout und Stand in Ordnung, die Seiten korrekt ausgeschossen waren, man konnte erkennen, ob einzelne Lettern beschädigt waren und ausgetauscht werden mussten. Waren alle erforderlichen Korrekturen ausgeführt, konnte der Auflagendruck beginnen.

Wer Bücher aus Buchdruck- und Bleisatzzeiten aufmerksam anschaut, der wird immer mal wieder Fehler finden. Manche Werke sind auch sozusagen mit schneller Letter gedruckt, will heißen rasch und billig produziert, und haben ein recht unsauberes Druckbild. Und hin und wieder findet man so schöne Phänomene wie Spieße, etwas, das in Offset- oder Digitaldruckzeiten gar nicht mehr vorkommen kann. Spieße gehören in der Regel zu den echten Druckfehlern, denn sie hat normalerweise der Drucker zu verantworten, weil die Druckform in der Druckpresse nicht ordentlich geschlossen, also fest genug eingespannt war. Vor allem beim Druck mit Zylinderpressen und ganz besonders bei maschinellen Pressen, wie den Schnellpressen für den Druck großer Auflagen, rütteln die Vibrationen währed des Druckprozesses an der Druckform. Durch diese Vibrationen arbeiten sich Teile des Blindmaterials, die zu locker sitzen, allmählich nach oben und, sobald sie Druckhöhe erreichen, nehmen sie Farbe an und drucken sich als rechteckige Marken zwischen die Wörter, genau da, wo eigentlich ein Wortzwischenraum sein sollte. An dieser Stelle ist das Blindmaterial also nicht blind geblieben, sondern hat sich selbst als schwarzen Balken sichtbar gemacht.

Es steht natürlich gänzlich außer Frage, dass sowohl Schriftsetzer als auch Buchdrucker, die etwas auf sich gehalten haben, alles daran gesetzt haben, keine Makulaturen zu produzieren. Makulaturen zeigten Fehler, und Fehler wollte man keine machen. Nun sind wir aber alle Menschen und Fehlermachen ist untrennbar Teil unseres Lebens. Selbst bei noch so viel Sorgfalt, kann eben auch mal der eine oder andere Fehler unentdeckt bleiben. Gerade die Spieße sind dabei heimtückisch, da sie nicht von Anfang an, also schon auf der Korrekturfahne auftreten, sondern erst nach einer gewissen Zeit.


Im Jahr 2010 habe ich, anlässlich des 75. Todestages von Kurt Tucholsky, das Künstlerbuch „Mir fehlt ein Wort“ mit über 60 Texten des bekannten Journalisten vorgestellt. Dem Werk liegt die Geschichte des jungen Buchdruckers Wilhelm Klemper zu Grunde, in der Makulaturen eine zentrale Rolle spielen. Wilhelm fand Arbeit in einer Berliner Druckerei in den Jahren der Weimarer Republik. Er sammelte Makulaturbogen mit Texten, die er interessant fand – viele davon von Kurt Tucholsky. Ein befreundeter Buchbinder zeigte ihm dann, wie er diese losen Bogen schnell zusammenheften konnte. So entstanden drei Mappen in preußischer Archivheftung.

Als der junge Klemper Anfang 1933 Deutschland überstürzt verlassen musste, fielen die Mappen der Partei in die Hände. Die Texte von Tucholsky dienten als Beweise dafür, dass der bekannte Autor, promovierte Jurist und ausgesprochene Gegner der Nationalsozialisten ausgewiesen werden musste. Im August 1933 stand Kurt Tucholskys Name auf der ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reiches unter Hitler. Diese Geschichte ist fiktiv (abgesehen von der Ausbürgerung Tucholskys durch die Nationalsozialisten im August 1933 – die ist tatsächlich so geschehen), aber alle Druckbogen im Künstlerbuch sind gemäß dieser künstlerischen Konzeption als Makulaturen gearbeitet und in der historischen Technik der preußischen Archivheftung zu drei thematischen Mappen zusammengestellt.

Die Reihe „Posito … Gesammelte Makulaturen“ besteht aus zehn Broschüren mit je einem Text. Die Texte sind im Zusammenhang mit dem Werk zu Kurt Tucholsky entstanden und gedruckt worden. Sie sind Bestandteil von „Mir fehlt ein Wort“, liegen nun aber zusätzlich als eigenständige Reihe vor. Zehn fiktive Autoren haben Essays geschrieben im Stile Kurt Tucholskys zu Themen, die zu Anfang des 21. Jahrhunderts aktuell gewesen sind. Die Namen dieser Autoren nehmen Tucholskys Spiel mit Pseudonymen auf, es sind unter anderen Cora Cobra, Markus Marder und Wiebke Wiesel. Und, klar, auch diese Texte sind allesamt als Makulaturen gedruckt.

zwei von insgesamt 10 Bänden


