Advent

Die Schriften im Atelier

Die ersten beiden Kästen mit Schrift kamen zusammen mit der KORREX Andruckpresse im Jahr 1998. Es waren ein Antiqua-Kasten Optima im Schriftgrad 10 Punkt und ein Steckschrift-Kasten Hammer-Unziale im Schriftgrad 24 Punkt. Beide sind noch immer im Bestand. Nach über zwei Jahrzehnten sind sie in guter Gesellschaft: aktuell gehören geschätzte 10 Tonnen an Bleischriften in gut drei Dutzend Setzregalen zum Schriftenbestand des Ateliers The Fork and Broom Press. Das sind über 100 unterschiedliche Schriften, darunter ungefähr 20 gebrochene Schriften, also gotische und Frakturschriften.

Künstlerbuch “away“, Einband gedruckt mit vielen verschieden Blei- und Holzschriften

Die Schriften kamen von überall her auf allen erdenklichen Wegen. Nicht wenige haben wir von Peter Vöge erstanden. Etliche Jahre lang haben wir uns einmal im Jahr zusammen mit Tita, unserer treuen Druckerhündin, und dem alten Ford Transit („Wer ist hier dick?“) für ein langes Wochenende auf den Weg zu Peter nach Oldenburg gemacht.

Der “Dicke” hatte eine ausgeprägte Neigung zu Winterschlaf,
was in direktem Zusammenhang stand mit seinem Heckantrieb.

Dort wurden dann die übers Jahr von uns angekauften und sorgsam gestapelten Schriftkästen eingeladen. Mitunter fand sich noch anderes, das mitgenommen werden wollte: ein Stapelschneider Marke Krause zum Beispiel, Baujahr um 1912. Im Jahr 2002 waren wir Ende Oktober unterwegs, um unsere Schriften abzuholen. Auf der Rückfahrt hatten wir ungefähr eine halbe Stunde Vorsprung vor dem Orkan Jeanett. Im letzten Moment hatten wir uns entschlossen, nicht über die Hansaroute im Westen zurückzufahren, sondern unsere vertraute Strecke über die A7 zu nehmen, die weiter östlich lag. Der Sturm kam vom Nordatlantik und traf am Nachmittag den Westen Deutschlands zuerst. Die über 30 Schriftkästen gaben dem Transit zwar ordentlich Gewicht, die Böen, die dem Orkan vorauseilten, rüttelten den fahrbaren Kleiderschrank aber schon ordentlich durch, vor allem auf den vielen hohen Talbrücken in Hessen. Wir kamen wohlbehalten und noch so rechtzeitig in Süddeutschland an, dass es reichte, eine letzte, schnelle Runde mit dem Hund zu gehen. Danach igelten wir uns ein und über Nacht zog der Orkan nach Osteuropa weiter. Die angerichteten Schäden waren erheblich, europaweit waren 47 Todesopfer zu beklagen. 

Bleischrift Helvetica mager, originalverpackt

Andere Schriften kamen weit weniger spektakulär ins Atelier: von Buchdruckermeistern, die es nicht übers Herz gebracht hatten, das altgediente Material, das so viele Jahrzehnte das Auskommen des Betriebes gesichert hatte, zum Einschmelzen zu geben, und erleichtert waren, jemanden gefunden zu haben, der auch im 21. Jahrhundert noch mit den Schriften arbeitet. Aus Schuldruckereien, die aufgelöst werden mussten, um Raum für eine Mensa zu schaffen. Aus dem Nachlass eines Fotografen, der Ansichtspostkarten von Berggaststätten und Autogrammkarten von Schlagerstars der 1970-er Jahre gedruckt hatte. Manchmal war Schrift auch bereits im Eimer, will heißen in die Zinkwanne gekippt worden und musste mühselig wieder heraussortiert werden. In diesem speziellen Fall wurde auch die alte Zinkwanne in den Bestand des Ateliers übernommen.

Schrift im Eimer – diese Lettern waren bereits gekippt,
also aus dem Schriftkasten geschüttet,
sie sollten eingeschmolzen werden

Zu Buchdruckzeiten wurden Schriften in der Schriftgießerei bestellt und geliefert – gänzlich unbenutzt und blitzeblank. Die noch makellosen Lettern wurden als Block ordentlich mit Kolumnenschnur ausgebunden und sorgsam in dicken Tauen eingepackt geliefert. Sie mussten dann streng gemäß Norm in Schriftkästen eingelegt werden. Bei Schriftgraden größer 16 Punkt wurden die Lettern in der Regel in Steckschriftkästen alphabetisch gesteckt.

Schrift wie sie aus der Schriftgießerei neu geliefert wurde mit Begleitfaltblatt

Klassischerweise hatte eine Buchdruckerei ein Schriftmusterbuch. Darin waren alle Schriften, die im Bestand waren und aus denen Texte gesetzt werden konnten, aufgeführt. Jede Schrift war mit dem gesamten Zeichensatz und oft auch mit einem Beispieltext abgedruckt, so dass ein Kunde eine Basis hatte, sich für eine Schrift zu entscheiden. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, mit der Vielfalt von Schriften aus dem Bestand zu arbeiten.

Künstlerbuch “Annettes und Günters fernöstliches Schmausbuch”, 2002, vergriffen

Das erste Projekt, in dem eine Vielzahl meiner Schriften zum Einsatz kam, war das Künstlerbuch mit dem Titel „Annettes und Günters fernöstliches Schmausbuch“. Es ist im Jahr 2002 erschienen und längst vergriffen. Das Buch ist eine philosophisch-typographische Rezeptesammlung. 22 Rezepte im asiatischen Stil sind mit Aphorismen und kleinen Geschichten aus der Philosophie (überwiegend aus dem fernen Osten) kombiniert, wobei die Sentenzen und Anekdoten alle in irgendeiner Weise sich mit dem Essen oder Kochen befassen. Gedruckt sind die Texte auf Ingresbütten in den Farben Zimt und Ingwer.

Ein weiteres Projekt, das sich mit den unterschiedlichen Schriften befasst, entstand im Jahr 2003. Es ist das typographische Spiel „Wer hat Angst vorm langen s?“ Das Spielprinzip ist das eines Erinnerungsspieles: alle Karten liegen verdeckt auf dem Tisch und nun müssen passende Paare gefunden werden. Hier ist die Aufgabe so gestellt, dass immer Karten mit den gleichen Buchstaben ein Paar bilden, allerdings ist der Buchstabe einmal aus einer gebrochenen Schrift und einmal aus einer Antiquaschrift gesetzt. Das Spiel enthält 80 Kärtchen, die alle von Hand gefertigt sind: zugeschnitten auf einer Krause-Pappschere aus dem Jahr 1912.

Spiel um historische Schriften

Im Jahr 2012 entschloss ich mich, so viele meiner Schriften wie möglich als Alphabete zu drucken. Ich wollte kein Buch daraus machen, es sollten einzelne Karten werden. Am Ende sind es 100 Kartenmotive geworden im Format A5 – die Reihe heißt: Meine Typen. Gedruckt sind sie auf verschiedene Qualitäten der Rives-Papierreihe im Flächengewicht von 250 Gramm. 

Einige der Alphabetkarten aus der Reihe “Meine Typen”

Eine altgediente Druckhaus hat sich dabei als besonders eigenwillig erwiesen. Bei den Umlauten der Großbuchstaben dieser Schrift stehen die Pünktchen nach oben über. Solche Strukturen galten traditionell als unglückliche Lösung, da sie leicht abbrechen konnten – Schriftblei ist ein sprödes Material. Es gab im ganzen Kasten nur ein einziges großes Ä und während des Druckprozesses haben sich die beiden Umlautpünktchen verabschiedet: sie waren schon vorher angeknickt und sind beim Drucken vollends abgebrochen. So gibt es ein paar gedruckte Exemplare mit vollständigem Versal-Ä und bei allen anderen ist dort nur noch ein schlichtes Versal-A zu sehen. 

Für alle Fans von Bleischriften und Typographie gibt es den “Platz für Bleischriften“, wo die Schriften aus dem Bestand des Ateliers The Fork and Broom Press in Einzelportrait und mit ihren besonderen Charakteristika vorgestellt werden.

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