Advent

Reisen mit Druckpressen und andere annähernd unmögliche Unternehmungen

Kesselflicker, Scherenschleifer, Lumpensammler, Bänkelsänger: das fahrende Volk war ein buntes und nicht wenigen unter ihnen haftete der Ruch des Unseriösen an. Wer ganz sicher nicht dazu gehörte, das waren die Drucker. Der gute Johannes Gensfleisch zum Gutenberge hätte vermutlich recht ratlos dreingeblickt, wäre jemand ihm mit der Idee gekommen, er könne doch mit seiner Druckerei auch auf Reisen gehen. Beim Buchdruck sind lediglich die Lettern beweglich, der ganze Rest mag lieber da bleiben, wo er schon ist. 

Ein Umzug einer Werkstatt mit Druckpressen und Setzregalen, gefüllt mit Bleischriften, ist zwar kein Himmelfahrtskommando, aber ein gehöriges Abenteuer. Ich weiß, wovon ich rede: ich habe mein Atelier zwei Mal umgezogen. Im Jahr 2004 mussten wir eine Andruckpresse und geschätzte 5 Tonnen Schrift über eine Distanz von 20 Kilometern bewegen. Was ich damals nicht wusste: das war nur der Umzug zum Aufwärmen. Denn 12 Jahre später haben wir zwei Andruckpressen von jeweils rund einer halben Tonne Gewicht und gut 10 Tonnen Bleischriften in über drei Dutzend Setzregalen sowie ein mittlerweile umfangreiches Papierlager befördert – über eine Distanz von 560 Kilometern. Das ging endgültig nur noch mit der Unterstützung durch Sattelzug und Gabelstapler einer Spedition.

Beim ersten Umzug hatten wir Kontakt zur Firma Simmel in Pforzheim. Dort war im Jahr 1956 meine KORREX Hannover ‚Hand‘ gebaut worden. Nach einigen Zwischenstationen, eine davon in Hamburg, kam die Presse dann 1998 zu mir. Man hat bei Simmel freundlicherweise den Kontakt hergestellt zu einem kürzlich berenteten ehemaligen Mitarbeiter, der gerne bereit war, uns beim Umzug der Presse zu unterstützen. Wir sind dem Herrn dauerhaft zu Dank verpflichtet, denn er hat uns viel über die Presse erzählt. Nachdem er sich das gute Stück eingehend angesehen hatte, kam er letztlich zu dem Schluss, dass er hier mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eben jenes eine Exemplar vor sich hat, das er seinerzeit selbst als Lehrling bei Simmel komplett gefertigt hatte. Im Hause Simmel war es die Regel, dass jeder, der dort zur Ausbildung war, während seiner Lehrzeit eine Druckpresse vollständig baute. Danach wusste man dann auch genau, welches Teil wohin gehört und weshalb. 

KORREX Hannover “Hand”, Zylinderandruckpresse

Bevor es allerdings soweit war, dass die Druckpresse verladen werden konnte, musste erst in den neuen Räumen gestrichen werden: Wände und Decken. Das Gebäude war im Laufe des Vorjahres erstellt worden. Es war überwiegend im Rohbaustadium. Lediglich das Erdgeschoss hatte der Vermieter dankenswerterweise rasch bezugsreif gemacht, damit mein Einzug über die Bühne gehen konnte, bevor für mich im Mai die Markt- und Messesaison losgehen würde. Die Fassade hatte noch keinen Verputz und der Hof noch kein Pflaster – der grobe Schotter musste sich erst noch setzen. Wir hatten ein Rollgerüst zur Verfügung, schließlich waren die Räume über drei Meter hoch. Wir walzten die weiße Farbe auf die Wände bis unsere Arme nicht mehr konnten. Und über Nacht kam wer auch immer in Scharen und zupfte die Farbe von der Wand: wenn wir am nächsten Tag kamen, hing das Weiß in Fetzen. Wir kauften neue Farbe und fingen von vorne an. Erst eine Bekannte, die einige Zeit bei einem Malerbetrieb gejobbt hatte, fand die Erklärung. Wir mussten in die Farbe viel mehr Wasser einrühren, als auf der Anleitung stand. Der Grund: die Wände waren zu trocken. Das Gebäude war im sogenannten Glutsommer 2003 gebaut worden und enthielt sehr viel weniger Baufeuchte als üblich, so dass die staubtrockenen Wände förmlich schlagartig des Wasser aus der Farbe zogen, noch bevor sie sich vernünftig mit der Wand verbinden konnte. Mit mehr Wasser in der Farbe konnten die Wände ihren Durst stillen und die Farbe hat sich trotzdem auf den Wänden gehalten.

Zu den weiteren Ankdoten dieses Umzugs gehört, dass wir für den Transport der großen und schweren Stücke einen Transporter der Sorte „hoch-lang“ gemietet hatten. Unser altgedienter Transit konnte zwar ordentlich schleppen, war dann aber doch für so manches um ein weniges zu kurz. Der Tag der Tage kam, jede Menge Freunde und Kollegen kamen zum Helfen, schließlich sollten die beiden Schwergewichte bewegt werden: die Druckpresse und die Pappschere. Alles war eingeladen und am neuen Standort angekommen – doch dann ließ sich der Transporter plötzlich nicht mehr rangieren. Die Gänge 1 und 2 sowie der Rückwärtsgang hatten sich spontan verabschiedet. Mit vereinten Kräften wurde das lendenlahme Gefährt auf den geschotterten Hof geschoben und ausgeladen. Nach etlichen entnervenden Telefonaten mit dem Autovermieter kristallisierte sich heraus: Ein Ersatzfahrzeug war nicht zu kriegen – es war allgemeines Umzugswochenende und alle Fahrzeuge waren woanders am Arbeiten. Ein paar Stunden später kam der Abschlepper und lud den defekten Transporter auf. Dass wir die spritschluckende Kiste deshalb nicht volltanken konnten, war ein kleiner Trost. Allerdings: die ganze Umzugsplanung war nun für die Tonne. Der Umzug zog sich letztlich über Wochen. Als unverhofftes Extra entwickelte unsere damals 12-jährige Hündin eine schwere Gebärmuttervereiterung und musste mitten in dem Chaos operiert werden. Und auch wenn es zwischenzeitlich ganz anders aussah: am Ende stand alles da, wo es hingehörte, der Hund war wieder fit, und die Eröffnung konnte wie geplant über die Bühne gehen.

Setzergasse mit Schwenkhocker (noch nicht komplett zusammengebaut)

Der Umzug von 2016 war dann sozusagen das nächste Level. Der Grundriss der Räume am alten Standort war U-förmig, die große Eingangstür nur an einer Seite – dort war das Buchbinden zuhause mit den fast deckenhohen Papierregalen. Bevor die großen Stücke wie Druckpressen und Setzregale bewegt werden konnten, musste erst die Buchbindersektion Platz machen. Dazu waren zwei Fahrten mit einem gemieteten Siebeneinhalber nötig. Beides Mal war der LKW voll bis zum Rand und ich fuhr mit meinem vollgepackten Kastenwagen parallel. Die erste Tour bescherte dem LKW eine mehrstündige Zwangspause kurz vor der Überleitung von der A7 auf A44. Dort hatte ein Holzlaster unplanmäßig auf der Fahrbahn abgeladen. Letztlich zog sich die LKW-Fahrt dann von früh um 5 Uhr bis abends um 20 Uhr – an Ausladen war da nicht mehr zu denken. Das musste dann am nächsten morgen im Eiltempo erfolgen, damit der LKW noch innerhalb der Mietzeit abgegeben werden konnte. Dankenswerter Weise kamen die Nachbarn zwischen Kühe-Füttern und anderen Stallpflichten wechselweise zum Helfen und mit vereinten Kräften von fünf Personen blieben wir letztlich um sage und schreibe ganze zwei Minuten im Zeitfenster. Die zweite LKW-Tour war weniger spektakulär, wenn auch ebenso anstrengend. Am Tag nach der Fahrt kam frühmorgens die Betonpumpe, um den Flüssigbeton einzufüllen im ehemaligen Kuhstall, der in Zukunft der Drucksaal sein sollte.

Mitte Oktober kam dann der spannende Teil. Ich fuhr für eine gute Woche in den Süden zum Packen der Druckabteilung. Die Spedition brachte erst einmal 40 Europaletten, die aufgestapelt wurden. Mein Vermieter Klaus hatte einen Hubwagen übrig und ließ ihn mir da, was sich als sehr hilfreich herausstellte. Und nun galt es, Setzregal für Setzregal auf die Paletten zu packen. Dazu müssen alle Schriftkästen aus dem Regal raus, das Regal auf die Palette, und nun wieder alle Schriftkästen ins Regal rein. Nach einer Woche waren alle Regale auf den Paletten, der Kleinkram kam in Bananenkisten, die auf Paletten gestapelt wurden, und Dienstag Mittag kamen die Jungs von der Spedition zum Umreifen der Paletten für den Transport. Sie packten die beiden Andruckpressen auf die restlichen Paletten und der Gabelstapler hob alles säuberlich auf den extra langen Sattelzug. Was nicht mehr draufpasste kam in den 16-Tonner, der auch den Gabelstapler beförderte. 

KORREX Hannover “Hand” vor dem Verladen auf den Sattelzug

Am Dienstag Abend war in Wäschenbeuren alles weg, am Donnerstag sollte es in Oppenwehe abgeladen werden. Der Sattelzug hatte schlappe drei Stunden Verspätung, brachte aber alles wohlbehalten auf den Hof. Es wurde rasch abgeladen, der LKW musste schließlich weiter und war eh schon spät dran, und als alle Pressen und Regale im Hof standen, fing es ganz sachte aber doch entschlossen an zu regnen. 

Die Paletten mit der Werkstattaustattung sollten in der Scheune zwischengelagert werden. Dazu hatten wir im Vorfeld den einen Scheunengang frei räumen müssen: dort lag noch massenhaft altes Stroh. Die Paletten passten am Ende grade so auf den Zentimeter da hinein. Da die Bleischriften frostempfindlich sein können, hatte ich den Umzug der Schriften in den Oktober gelegt, wo noch nicht mit starken oder längeren Frösten zu rechnen war. Sicher ist sicher – hatte ich gedacht. Nun war aber das Jahr 2016 anders als andere Jahre: Anfang November begann eine Frostperiode, in der wir über nicht wenige Tage minus 9 Grad hatten, weshalb ich die eingelagerten Regale in der Scheune mit Matten abdeckte und mit dem alten Nadelfilz aus der vorigen Werkstatt, der schon für den Transport zum Polstern hatte herhalten müssen. Es sollte noch bis Januar dauern, bis im Drucksaal alles fertig war und wir die Setzregale aus ihrem Zwischenlager in der Scheune holen konnten.

Am Ende hatten die Druckpressen etwas Flugrost angesetzt, aber nicht viel, die Schriften hatten die frostigen Tage und Nächte schadlos überstanden, und als alles eingeräumt war, sah es aus, als hätte der Raum schon immer eine Setzerei sein wollen.

Drucksaal von The Fork and Broom Press

2 Comments

  • Renate Helm

    Danke für deine erste Geschichte.
    Dabei musste ich auch an eigene Umzüge denken und die Abenteuer dabei.
    Ich bin deiner Meinung. Der Kuhstall ist ein guter Platz für für deine Setzerei.
    Oppenwehe ist jetzt um 10Tonnen Bleischriften reicher.
    Freue mich schon auf die nächste Geschichte.
    Renate

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