Advent

Wie es wirklich war mit dem Klötzle Blei

s leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeura, glei bei Blaubeura leit a Klötzle Blei.

Der Herr Mörike, Eduard hieß er, hat anno 1852 die Historie von der schönen Lau, die einem Wassernix aus der Donau angetraut war, aufgeschrieben, eingebettet in die Geschichte vom Stuttgarter Hutzelmännlein. Darin kommen viele Schuhe vor, auch ganz merkwürdige, und auch sonst ist es ein wunderliches Märchen, in dem es vor Zauberhaftem nur so wimmelt. An der einen und andern Stelle taucht ein Beutel auf, mit einem Klötzle Blei darinnen. Auch dieses Blei, wohl in der Form eines Lotes, soll Zauberkräfte haben, zum Beispiel soll es unter gewissen Umständen unsichtbar machen können. Für die jüngeren Protagonisten gibt es ein Happy End, und darüber hat der Herr Mörike wohl vergessen, uns zu sagen, wie es mit dem Klötzle Blei weitergegangen ist. Wir wissen allerdings, dass es nicht mehr bei Blaubeuren liegt, denn dort hat es der Schuster Seppe gefunden und mitgenommen und dem alt gewordenen Hutzelmännlein gebracht. So weit, so gut. 

Originalgraphik Portrait “Eduard Mörike”, Linoldruck

Nun sind reichlich 150 Jahre ins Ländle gegangen, seit der Herr Mörike die Geschichte zu Papier gebracht hat, und auch wenn nicht weit von Blaubeuren an einem Felsen, der Metzgerfelsen heißt, ein Metallwürfel hängt mit einem Schild darunter, auf dem steht „Klötzle Blei“: es ist still geworden um das Klötzle Blei aus Blaubeuren. So still, dass es sogar in Schwaben heute Leute geben soll, die das schwäbischste aller schwäbischen Sprüchle nicht mehr richtig aufsagen können: „‘s leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeura, glei bei Blaubeura leit a Klötzle Blei.“ Schnell muss man es hersagen können, sonst gildets nix, wie der Schwabe sagt. 

Im Schurwald, 2005

Neuerdings wird nun berichtet, vor ein paar Jahren sei wieder ein Bleiklötzle aufgetaucht, allerdings nicht in Blaubeuren bei Ulm, sondern in Wäschenbeuren zwischen Göppingen und Lorch. Droben auf der Höhe des Schurwaldes ist das, fernab von den Wundern der Donau, mitten zwischen den Flüsschen Fils und Rems am Fuße des Hohenstaufen. 

Der Berg Hohenstaufen

Und nicht weit vom Wäscherschlößle, wo einst Kaiser Friedrich Barbarossa gewohnt haben soll, bevor er unterm Kyffhäuser eingezogen ist, wo er auf seinen nächsten Auftritt wartet wie Elvis. Das mag man nicht so recht glauben, denn die Gegend um Göppingen ist noch nie eine Heimat von wunderlichen Ereignissen gewesen. Hier geht alles mit rechten Dingen zu: man schafft recht ordentlich beim Schuler und beim Böhringer und natürlich beim Märklin. Manche schaffen auch auswärts, beim Daimler oder beim Bosch. Die Leut sind tüchtige Schwaben, die ihr Häusle bauen und Kehrwoche machen und das Stückle umgraben. Da bleibt keine Zeit für Wunder. Wo kommt man da hin. Und was sagen da die Leut. Und da soll jetzt das Klötzle Blei hingeraten sein? Nun sind freilich in den vergangen Jahren viele Auswärtige in die Gegend gekommen. Man wohnt hier schön im Grünen und nach Stuttgart zur Arbeit lässt sich’s fahren, mit Pendlerpauschale allemal. Und der Pechschwitzer, Mörikes Hutzelmännlein, der war von Stuttgart. So gesehen könnte natürlich das Klötzle Blei schon seinen Weg von Stuttgart nach Wäschenbeuren gefunden haben. Wer will wissen, durch wem seine Hände es über all die Jahre gegangen sein mag?

Der Berg Hohenstaufen, von Wäschenbeuren aus gesehen

Nun fragt man sich aber schon, weshalb eigentlich der Herr Mörike plötzlich so verschwiegen geworden ist über den Verbleib des zauberhaften Klötzles. Und wer genau hinschaut, der stellt fest: der Herr Mörike hat etliche Jahre nachdem er die Hutzelmännlein-Geschichte geschrieben hatte, für ein paar Jahre in Lorch gelebt – eben genau jenes Lorch, das von Wäschenbeuren kaum 10 Kilometer entfernt liegt. Ja, eiderdaus, da soll man nicht ins Grübeln kommen. Es könnte ja auch der Herr Mörike selber, das Klötzle behalten haben. Er war ja nun Pfarrer und vielleicht wollte er Sorge tragen, dass es nicht in die falschen Hände kommt, wo es doch zauberkräftig ist. Und als er Lorch wieder verlassen musste, beruflich bedingt, da hat er das Klötzle womöglich auf einer letzten schönen Wanderung über das, was heute die Straße der Staufer ist, bei Wäschenbeuren verborgen, im lauschigen Marbachtal, wo der Eisvogel fliegt, oder im Wald beim Wäscherschlößle oder unter einem Gehölzstreifen in der Wilmet, von wo aus man den Hohenstaufen so schön sieht, darauf vertrauend, dass die rechtschaffenen, so gar nicht wundergläubigen Göppinger ohnehin nicht nach dem Klötzle Blei in seinem Säckchen suchen werden. 

Der Berg Hohenstaufen, von Wäschenbeuren aus gesehen

Und in den 1990-er Jahren hat dann die Gemeinde Wäschenbeuren in der Wilmet das Gewerbegebiet gebaut und da soll jetzt das Bleiklötzle sein, seit 2004 wie zu vernehmen ist. Erstmals gehört hat man von ihm gegen Ende des Jahres 1999 (da soll es noch in Ebersbach im Filstal gewesen sein, was aber auch an den Schurwald grenzt und nicht weit weg ist von Stuttgart). Damals, genau an Weihnachten 1999, ist auch der Orkan Lothar über den Schurwald gefegt und hat jede Menge Bäume entwurzelt und umgeknickt. Ausgesehen hat der Schurwald seinerzeit wie umgepflügt. Da hätte es schon sein mögen, dass jemand, der hier mit seinem lieben Hund zufällig auf Mörikes Spuren spazieren geht, ein Säckchen hätte finden können mit einem Klötzle Blei darinnen. Schließlich wird auch berichtet, dass noch lange zu dem Bleiklötzle in Wäschenbeuren ein großer Hund gehört hat, der immer acht gegeben hat, dass nichts wegkommt, und der Hund soll auf eigentümliche Weise seinen Menschen sehr zugetan gewesen sein, so sehr, dass er von ihnen überhaupt gar nicht hat weg wollen.

Tita 1992-2006

Und die Menschen sollen jede Menge Bücher besitzen, und sie sollen die Bücher auch noch gelesen haben, wenigstens die meisten davon. Da haben sie am Ende sogleich gewusst, was ihnen ihr guter Hund da im sturmdurchwüteten Wald gefunden hatte. Und am Ende hat der Herr Mörike genau das Rechte getan, weil das Klötzle Blei nun in die richtigen Hände gekommen ist. Und das Bleiklötzle macht jetzt seit 10 Jahren ganz wundervolle Bücher und verzaubert die Leute damit. Und das ist zwar etwas ganz Neues für die Gegend um Göppingen, dass es hier wundert und zaubert, aber vielleicht hat der Herr Mörike sich gedacht, dass es die Menschen hier auch ganz besonders brauchen können, dass ihnen mal etwas Wunderbares widerfährt. So gesehen: Vergelt’s Gott, Herr Mörike!

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