Advent

Die Historie von der Schönen Lau neu erzählt

Neulich traf ich einen Freund im Café. Man hatte uns Gewitter prophezeit, aber es war wieder nur schwül geworden. Er saß an diesem wackeligen Tischchen, einen Latte vor sich und schaute trübe in das hohe Glas. „Einer DIESER Montage?“ fragte ich. „Schlimmer, wir hatten Familiengeburtstag gestern.“ Auweh. Seine Mutter hatte wohl mal wieder Anekdoten aus seiner Kindheit zum Besten gegeben. Ach das sei ja so nett gewesen, als sie seinerzeit am Blautopf bei Ulm gewesen wären. Ein Tagesausflug, er noch keine fünf Jahre alt, und dann hätten sie in das so überaus blaue Wasser geschaut und zu ihm gesagt, wenn er nur oft genug nach der schönen Lau riefe, dann käme sie und würde ihm winken. „Und als Kind, was machst du da? Du rufst nach der Lau und rufst nach der Lau, und alle lachen.“ 
Natürlich hat sie nicht gewunken. 

Blautopf bei Blaubeuren

„Weißt du, deine Eltern lügen dich an von klein auf, und wie alt musst du werden, bis du ihnen endlich nichts mehr glaubst?“ Als seine Mutter den Schwank immer wieder erzählt hat, habe er sich das Buch dazu geholt. „Gibt es als Reclamheft, ist von Mörike. Hast du ein bißchen Zeit? Ich machs kurz:
Die ganze Geschichte heißt „Das Stuttgarter Hutzelmännlein“ und ist eine völlig verschachtelte Angelegenheit, so eine Art Roadmovie, handelt von wandernden Schustergesellen und so. Alles dreht sich um den Pechschwitzer und ein Stück Blei in dem ein Krakenzahn steckt. Dadurch hat es Zauberkräfte und, klar, jeder will es haben, und es wechselt ständig den Besitzer, geht verloren, wird wiedergefunden, man kennt das. Am Ende verliert sich die Spur. Wahrscheinlich wollte Mörike eine Fortsetzung schreiben, wenn sich der erste Plot gut verkauft. Der Pechschwitzer ist das Hutzelmännlein. Ich hab nicht verstanden, warum alle ständig hinter dem Bleiklötzle her waren und keiner das Rezept für das Hutzelbrot wollte, schließlich war das auch zauberkräftig: man musste immer den letzten Ranken übrig lassen, dann ist es wieder nachgewachsen und man hatte auf ewig dran. 

Also: die Geschichte von der schönen Lau ist eine Geschichte in der Geschichte. Die Lau ist die hübsche Tochter von reichen Leuten und sie macht eine gute Partie. Ihr Gatte ist ein hohes Tier im Außenhandelsfrachtgeschäft mit Sitz in der Gegend der Donaumündung. Der hat es geschafft: Schloss mit Personal, Wohlstand zum Abwinken und ständig Abendgesellschaften mit Champagner und Austern. Einziger Wermutstropfen: Seine hübsche Frau hat ständig Totgeburten. Und traurig ist sie obendrein. Kein Wunder. Die Schwiegermutter weiß es natürlich am besten: alles ist ganz einfach, sie muss bloß fünf Mal lachen, dann wird alles gut. Kleingedrucktes gibt es da natürlich auch, was sonst. Das mit dem Lachen wird aber nicht. Die Lau wird jeden Tag trauriger. Irgendwann wird es dem Alten zuviel und er schmeißt sie raus. Nett, nicht wahr? Aber solche Leute schmeißen ihre Frau natürlich nicht einfach raus, er schickt sie und ihr Personal weit weg zu seiner Schwester, die wohnt auf der Schwäbischen Alb bei Ulm, genauer: in Blaubeuren.

Künstlerbuch “Die Schöne Lau“,
alle 16 Unikate, jedes in einen anderen blauen Stoff gebunden

So. Da sitzt sie jetzt und die Hausangestellten reißen den ganzen Tag Possen, damit sie endlich fünf Mal lacht. Und alle paar Stunden wird sie in ein anderes Designerkleidchen gesteckt. Und jedes Jahr im Herbst schickt der Gatte eine Delegation zum Fragen, ob’s mit dem Lachen endlich was geworden ist. Das macht es auch nicht besser. Nebendran ist eine Kneipe und die Beizerin ist eine richtig gute Seele, immer für Leute da, denen was fehlt. Die sagt zur Lau: “Komm doch mal rüber!”, und zeigt ihr das Haus und die Küche und das ganz normale Leben eben. Das kennt die Frau ja nicht! Und wie so der ganze Stress abfällt und sie auch mal was anderes erlebt als nur die Possen der Dienerinnen und die hübschen Klamotten, sieh an, da lacht sie auch. Und einmal lädt die Beizerin zum Lichtkarz und alle sind lustig und sie versucht sich an diesem schwäbischen Zungenbrecher mit dem „Klötzle Blei glei bei Blaubeuren“, und natürlich verheddert sie sich grauenhaft und die Lau lacht sich schlapp – das ist ihr viertes Lachen. Und jetzt kommt das Kleingedruckte ins Spiel. Das fünfte Mal Lachen darf sie nicht mitkriegen. Ja, wie doof ist das denn. 

Künstlerbuch “Die Schöne Lau“, Handsatz aus der Post-Antiqua

Aber sogar das kriegen sie hin, und am Ende werfen sie sie rasch in den Blautopf, wo sie wohnt, weil ihr Gatte da mit großer Entourage im Anmarsch ist für seinen jährlichen Kontrollbesuch. Und jetzt ist alles gut und er nimmt sie wieder mit und, naja, du weißt schon, hatten viele Kinder und lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage oder so.
Aber weißt du, was das Mieseste an der ganzen Sache ist? Als ich fünf Jahre alt war, da war die Lau schon ewig nicht mehr da unten im Blautopf.“

Die Mühle am Blautopf, Blaubeuren

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