Advent

Ungefähr genormt: das Setzregal

Im Bestand des Ateliers The Fork and Broom Press befinden sich gut drei Dutzend Setzregale. Sie stehen traditionell in langen Reihen, den sogenannten Setzergassen.

Setzergassen im Drucksaal beim Atelier The Fork and Broom Press

Setzregale sind Arbeitsmöbel – und es sind unhandliche Arbeitsmöbel. Die Regale haben eine Steharbeitshöhe von einem Meter, sind meist etwas über einen Meter breit und um die 70 Zentimeter tief. In den Regalen werden die Schriftkästen, die die Bleischriften enthalten, verwahrt und an dem Regal wird mit den Schriften gearbeitet. Manche Regale haben Platz für 24 Schriftkästen, Versionen aus den 1950-er Jahren können bis zu 39 Kästen enthalten. Es gibt auch Spezialversionen mit extra Kästen für Messinglinien oder Blindmaterial, mit Aufsätzen für Regletten oder mit Schiebepulten auf der Arbeitsoberfläche, mitunter in zwei Ebenen.

Die meisten meiner Setzregale sind aus gut abgelagertem Buchenholz gebaut. Aber einige, die ganz besonders alten, sind aus dunklem Nadelholz. Man sieht ihnen an, dass sie schon viel erlebt haben. Auf einem davon klebt immer noch der Frachtaufkleber, mit dem es seinerzeit vom Hersteller zur Druckerei gereist ist: Die Schriftgießerei Otto Wiesert hat das Regal vom Stuttgarter Hauptbahnhof nach Göppingen geschickt; mit blauem Kopierstift ist das Datum eingetragen: 28.4.1928. Damit ist das Regal mittlerweile wenigsten 92 Jahre alt. Es enthält neben etwas Memphis und Post-Antiqua je einige Kästen Schiller-Fraktur und – man glaubt es kaum – Goethe-Antiqua. 

Jedes der gut drei Dutzend Setzregale hat seine eigene Geschichte. Manche kamen als Einzelstücke zu mir, andere in kleinen Gruppen. Eine komplette kleine Gasse mit drei Einzelregalen und etlichen Schiebepulten konnten wir an einem kühlen Herbstmorgen abholen. Das schöne Stück war sogar mit einem Schwenkhocker ausgestattet und bot damit dem Schriftsetzer Ergonomie in bis dato ungekannten Dimensionen. 

Kleine Gasse mit Schwenkhocker und Schiebepulten in zwei Ebenen

Leider wurde uns für Abbau und Verladen der Gasse und der Schriftkästen lediglich ein Zeitfenster von 2 oder 3 Stunden zugestanden. Wir hatten zwei Freunde als Helfer dabei und reisten mit zwei Transportern an. Irgendwie haben wir das dann hingekriegt und die Pizzeria vor Ort habe ich immer noch in grandioser Erinnerung. Die meisten Setzregale habe ich eigenhändig mit meinem alten Ford-Transit abgeholt. Eines stand im Keller eines Mehrfamilienhauses. Der einzige Zugang war eine auf Hochglanz polierte Steintreppe mit langgezogener Rechtskurve zwischen Rauhputzwänden. Ein anderes war viele Jahre zuvor im Keller einer Druckerei abgestellt worden. Und in all den Jahren hatten Generationen von Mäusen dort in aller Ruhe ihre eifrig gesammelten Kirschkerne gefuttert. Es hat Tage gedauert, bis die Kirschkerne zwischen den Lettern heraussortiert waren. Die Regale kamen von Druckereien, die endgültig die Arbeit mit den Bleilettern aufgegeben hatten, von Schriftsetzern, die sich Schriften in den Ruhestand mitgenommen hatten, aus Schuldruckereien, die aufgelöst wurden mussten, weil derRaum anders genutzt werden musste, aus dem Atelier eines verstorbenen Fotografen, der Autogrammkarten und Ansichtpostkarten bedruckt hatte, und von einem Buchbindermeister, der, schon weit in seinen 80-ern und kurz vor einer Hüftoperation, seine Werkstatt auflöste. Eine Gruppe von drei Regalen hatte noch einen riesigen Arbeitstisch im Schlepptau.

Einblattdruck Ballade “Meine Kakerlake“, Handsatz aus der Trajanus, Linolschnitt

Und zwei altgediente Setzer fuhren mit einem 7,5-Tonner mit Hebebühne vor und brachten gleich acht ausgemusterte Setzregale direkt vor die Ateliertür – mit einigen Kästen einer ganz ausnehmend viel benutzten Trajanus, die bis heute zu meinen liebsten Schriften gehört.

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