Advent

Kommt ein Esel zur Papiermühle …

Mein erstes Erlebins mit einem Esel ereignete sich, noch bevor ich in die Schule ging, auf einem Sonntagsausflug in einer Art Tierpark. Dort konnte man auf Eseln reiten und natürlich wollte ich das. Ein junger Mann führte den Esel, der Tag war sonnig, ich erinnere großkronige, vollbelaubte Bäume um uns herum. Es war ganz sicher kein böser Wille des Esels auch nicht die Widerborstigkeit, die man diesen Tieren immer nachsagt, das arme Tier ist wohl einfach nur gerutscht oder gestolpert. Jedenfalls endete der Ritt für mich ganz plötzlich in einer matschigen Pfütze, was meine Sympathien gegenüber Eseln zu keiner Zeit in irgendeiner Weise getrübt hat. Mir war nicht viel passiert, außer dass ich dreckig war – und schmutzig zu sein hatte für mich nie große Bedeutung. Über die Jahre habe ich zahllose Pferde kennengelernt, unterm Sattel oder – ganz ausnahmsweise – an den Leinen vor der Kutsche. Esel sind erst wieder Thema geworden, nachdem ich mit dem Drucken angefangen hatte und mehr über Papier wissen wollte.

Pantoffelesel“, Linolschnitt, Irisdruck

Vor etlichen Jahren habe ich eine Reihe von Holzschnitten mit Reiseszenen entworfen. Ich wollte sie gerne auf handgeschöpftes Papier drucken und fragte den Kollegen Johannes Follmer. Er betreibt die alte Papiermühle seiner Familie in Homburg, Markt Triefenstein. Für meine Hozschnittreihe hat Johannes Follmer die Bogen auf mein Format geschöpft mit dem Wasserzeichen seiner Mühle in einer Ecke. Das gesamte Fachwerkgebäude der Papiermühle ist im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts umgezogen an einen neuen Standort mit besserer Wasserversorgung. Heute schöpft dort Johannes Papier auch mit individuellen Wasserzeichen und auf gewünschtes Format. Die gesamte Anlage ist seit etlichen Jahren Kulturerbe und Museum und kann besichtigt werden.

Genau genommen gibt es Papier noch gar nicht so lange. Geschichten erzählt haben sich Menschen vermutlich schon vor mehr als 30.000 Jahren, aber aufschreiben konnten sie diese noch lange nicht. Sie konnten allerdings schon Bilder an Höhlenwände malen, die Felszeichnungen in der Höhle von Lascaux sind vor 35.000 Jahren entstanden. Wenn die Menschen damals schon Papier gehabt hätten, wer weiß, ob uns ihre zauberhaften Zeichnungen dann so gut erhalten geblieben wären. Viele Jahrtausende lang konnten Geschichten und Wissen nur über das Erzählen weiter gegeben werden. Mit dem Aufschreiben haben die Menschen erst sehr viel später anfangen können, nämlich vor 6.000 Jahren. Zuerst ritzte man Notizen zu Warenlieferungen, also quasi Lieferscheine, in Wachsplatten oder Tontäfelchen. Später schrieb man auf Palmblätter, Bambusstäbe, Papyrusbögen oder Pergament. Und erst vor knapp 2.000 Jahren wurde in China ein Verfahren entwickelt, mit dem man aus den Fasern des Basts von Maulbeerbäumen richtiges Papier herstellen konnte. Zunächst wurde dieses Material dort aber als minderwertig gegenüber dem bis dato genutzten Seidengewebe angesehen. Vor reichlich 1.000 Jahren konnte man in Bagdad aus Flachs und Hanffasern Papier herstellen. Rund 200 Jahre brauchte die Kunst des Papiermachens dann, bis sie aus der arabischen Welt in Europa angekommen war. Die Technik der Papierherstellung kam erst im 11. Jahrhundert nach Europa und schon am Ende des 13. Jahrhunderts gab es überall in Europa wassergetriebene Papiermühlen.

Buch aus afrikanischem Faserpapier, Unikat

Das Besondere am Papier ist, dass es aus Fasern besteht, die sich durch den Schöpfprozess zusammenlagern. So entsteht ein fester Papierbogen. Je länger die Fasern, umso dünner und reißfester kann das Papier sein. Es gibt viele pflanzliche Materialien, die verwendet werden können: Leinen, Hanf und Brennnesseln sind hierzulande die bekanntesten. In Asien liefern die Kozo-, Gampi- und Mitsumata-Pflanzen sehr wertvolle Fasern für die Papierherstellung. Man kann aber Papier auch aus Spargelschalen machen und aus Getreidestroh.

Jahrhundertelang kauften die Papiermühlen ihr Material bei den Lumpensammler, die als fahrendes Volk durch die Lande zogen. Sie sammelten alte, zerschlissene Kleidung, die sogenannten Hadern, bei den Leuten ein. Da die alten Gewebe hauptsächlich aus Leinen, Hanf und Baumwolle gemacht waren, ergaben sie einen hervorragenden Fasergrundstoff für die Papierherstellung. Allerdings: so ganz ungefährlich war das nicht für die Menschen, die das Material aufarbeiten mussten. Mitunter waren die Kleidungsstücke mit Krankheitserregern von Cholera, Typhus oder Milzbrand verseucht. Erst um 1850 wurde ein Verfahren zur Herstellung von Holzschliff entwickelt. So konnten aus Baumstämmen Zellulosefasern gewonnen werden für die Papierherstellung. 

Kirnitzschtalbahn bei Bad Schandau

Nicht weit von Bad Schandau in der Sächsischen Schweiz steht die Neumannmühle, wo bis 1945 noch Holzschliff erzeugt wurde. Es ist ein kleines technisches Denkmal, das besucht werden kann. Durch das enge Tal führt eine eingleisige Bahnstrecke, auf der die Waggons der Kirnitzschtalbahn gemütlich durch die malerische Landschaft gondeln. Links und rechts ragen die beeindruckenden Felsformationen auf, die für den Nationalpark Sächsische Schweiz so typisch sind. Nicht weit von der Neumannmühle gehen auch Wanderwege durch das Gebiet.

Neumannmühle imKirnitzschtal

Das Fasermaterial, ob Hadern oder Zellulose, wird für die Papierherstellung zu einem Brei, der Pulpe, verarbeitet, der in der großen Bütte gerührt wird – daher der Begriff „Büttenpapier“. Daraus wird dann mit einem Sieb der Papierbogen geschöpft. Das Wasser läuft durch das Sieb ab und die Fasern legen sich flach auf die Siebfläche. Lange Zeit wurden die Siebe aus Schilf oder Bambus und Rosshaar gefertigt. Als sich im Mittelalter die Papierherstellung zu einem florierenden Wirtschaftszweig entwickelte, wurde man freilich erfinderisch und suchte nach Verbesserungen für das Verfahren.

Die Papiermühle Fabriano, in der mittelitalienischen Provinz Ancona, war im 13. Jahrhundert eine Art Zentrum der Papierherstellung. Dort wurde unter anderem die Leimung von Papier etabliert, um die Saugfähigkeit zu verringern und damit bessere Schreibeigenschaften zu erreichen. Und dann fand man heraus, dass man Schöpfsiebe aus Metall fertigen konnte. Feine Metallfäden wurden zu einem zarten Netz verflochten. Und mit diesen Sieben wurde dann möglich, was später jeder Papiermacher-Lehrling lernen musste und was auch Johannes Follmer kann: Wasserzeichen in die Papierbögen zu schöpfen.

Wasserzeichen der Papiermühle Homburg, Markt Triefenstein

Die frisch geschöpften Bogen werden sorgsam und ohne Falten zwischen Filze gelegt und in großen Spindelpressen wird dann das Wasser herausgepresst. Wenn die Bogen vollständig getrocknet sind, werden sie zu Bündeln gepackt und sind so fertig zum Transport. Im alten Bagdad, um die Zeit von 800 nach Christus, verpackte man je 500 Bogen zu einem „rizmah“, was soviel heißt wie Bündel. Der arabische Ursprung ist auch heute noch in dem Wort „Ries“ erkennbar, das wir immer noch benutzen, wenn wir Papier abgepackt vom Papierlieferanten bestellen. Ein Ries kann heute 100 oder 250 oder mehr Bogen enthalten und auch beim Format gibt es große Unterschiede. So gesehen ist das Ries als Verkaufseinheit alles andere als einheitlich. Ein alter Hase der Branche hat mir einmal erklärt, weshalb das so ist. Das Ries ist gar keine Verkaufseinheit, sondern eher eine Transporteinheit. Und damals, als der Begriff entstand, gab es noch keine genormten Europaletten und Sattelzüge mit Zertifizierung. Damals wurden die Papierbündel mit Eseln transportiert. Und weil es kleine und große Esel gibt, gibt es eben auch kleine und große Ries.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. 

Spardose,
die vor langer Zeit beim Weltspartag ausgegeben wurde

Das Museum Papiermühle Homburg
Die Neumannmühle bei Wikipedia

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