Advent

Altes Gewerk in neuem Wirkungsbereich: Kulturerbe

Seit 15. März 2018 gehören die künstlerischen Drucktechniken zum immateriallen Kulturerbe in Deutschland. Dazu zählen neben dem Hochdruck der Tiefdruck mit Kupferstich und Radierung, der Flachdruck mit Lithographie und Lichtdruck, und der Siebdruck als Durchdrucktechnik. Schon lange werden viele ursprünglich handwerlich geprägte Drucktechniken überwiegend oder ausschließlich künstlerisch eingesetzt. Holzstich und Kupferstich waren lange als reine Bildreproduktionstechniken verpönt. Aber nachdem phototechische Verfahren eine noch bessere und vor allem schnellere Bildwiedergabe ermöglichten, konnte das Potential dieser alten handwerklichen Techniken im künstlerischen Bereich sich voll entfalten.

Alphabetkarte “Unger-Fraktur“,
Winkelhaken, Ahle, Lettern, Steckschriftkasten

Lithographie, der Druck vom Solnhofer Schieferstein, und Buchdruck wurden beide in den im gewerblichen und industriellen Zusammenhang operierenden Druckereien vom Offset-Druck abgelöst und damit irgendwie freigestellt oder so etwas wie arbeitslos. Das Traurige ist: Viele gute Pressen wurden verschrottet oder nach Irgendwo verschifft (wo vor allem die Buchdruckpressen mitunter noch heute himmelschreiend miserabel übersetzte Bedienungsanleitungen drucken müssen), Tonnen von Bleischriften wurden zur Metallverwertung gebracht und eingeschmolzen. Wer weiß, ob nicht in der Batterie des 2CV, den ich in den 1980-ern gefahren habe, jede Menge Blei aus alten Lettern steckte. Aber es gibt wie immer auch eine gute Seite, wenn ein altgedientes Gewerk aus dem Erwerbsleben entlassen wird: wo Gewerbe und Industrie keinen Nutzen mehr haben, da werden Geräte und Ausstattung plötzlich oder zumindest allmählich erschwinglich. Waren Druckpressen und Bleischriften einst teuer, da sich mit ihnen gut und sicher Geld verdienen ließ, verwandelten sie sich nahezu über Nacht zu tonnenschwerem Schrott. Druckereibetriebe waren mitunter froh, den alten Kram loszusein und Platz für die moderne Technik zu haben. So fanden die ausgemusterten und altgedienten Andruckpressen und Setzregale allmählich ihren neuenWirkungsbereich in den Ateliers von Druckgraphik und Kunst – freilich nicht immer ohne erst einmal ein paar Jahrzehnte in Kellern, Schuppen oder anderen Verließen vor sich hinzurosten.

Auf dem Setzschiff auf Stand montierter Text mit Linolschnitt, Künstlerbuch “Manarah 4: Wind

Es gab aber immer schon diejenigen, die ihre Faszination für die „hands-on“ Verfahren nie verloren haben. Die immer schon spürten, dass etwas, das von Hand, das mit den Händen gemacht wurde, irgendwie anders ist, wärmer, lebendiger, menschlicher als etwas, das einfach fertig aus einer Maschine fällt. Es gab die gelernten Schriftsetzer, die nicht nur kommen sahen, was die Zukunft bringen, sondern auch, was sie nehmen würde, und die sich von ihrem Chef beim Abschied in den Ruhestand ein Setzregal oder eine kleine Gasse mit Schriften und vielleicht noch die Abziehnudel oder die Andruckpresse oder den alten Bostontiegel wünschten – und in die Garage gestellt bekamen. Und es gab die Druckermeister, die stolz darauf waren, dass ihre Familien über Generationen Drucker und Setzer gewesen waren, bei denen mehrfach das Militär zu Kriegszeiten in der Tür gestanden hatte, um die Bleischriften zu konfiszieren, aus denen dann Munition gegossen wurde. Und diese Druckermeister waren nicht bereit, Pressen und Material noch einmal für Unheiliges abzugeben, schlicht verschrotten zu lassen. Sie behielten alles, um dann, wenn sie jemanden trafen, der bereit war, das Abenteuer Buchdruck&Bleisatz zu wagen, leise zu sagen „Dann kommen Sie doch mal vorbei.“ Es gab Schriftsetzer und Lehrer, die Schuldruckereien einrichteten und dort Druckprojekte umsetzten. Und auch wenn so manche Schuldruckerei in den Nullerjahren Platz machen musste für eine Mensa: einige gibt es noch, und in denen wird mit Herzblut gesetzt und gedruckt.

Beatrice Warde (1932) – gedruckt bei Werkstätten und Museum für Druckkunst, Leipzig

Und so haben wir zwar viele Druckpressen und unschätzbare Mengen Schriften verloren – und vor allem sehr viel Wissen und Erfahrung. Aber wir haben immer noch genug da, um auch im 21. Jahrhundert noch Texte aus Bleischriften korrekt setzen und auf Buchdruckpressen sauber drucken zu können, ganz gleich ob es Zylinderandruckpressen, Boston-Tiegel oder die monumentalen Albion-Kniehebelpressen sind. Und es gibt immer noch Menschen, echte Menschen, die wissen, mit all den wunderlichen Aparaten umzugehen. Und wo kein Zeitdruck mehr ist, die große Auflage termingerecht und kostengünstig auszuliefern, wo die Muße ist, Funktionen auszuprobieren und Potentiale auszuloten, da stellt sich heraus, dass die alten Druckpressen viel mehr können als nur Akkordarbeit ausspucken. Sie können richtig schön drucken – man muss ihnen nur die Gelegenheit dazu geben. Und genau das ist es, was in den Druckateliers heute gemacht wird.

Am Tag der Druckkunst 2019 bei The Fork and Broom Press

Und dann ist ja Johannes Gutenberg zur Jahrtausendwende zum „Man of the Millennium“ gewählt worden. Weil sein Trio aus Druckfarbe, Letternguss und Druckpresse letztlich alles, was zuvor war, im Laufschritt hinter sich gelassen hat. Dabei hatte er ja damals im 15. Jahrhundert nur wollen, dass das Büchermachen schneller geht, als über die mühselige Prozedur des Abschreibens. Er hat damit Heerscharen von Schreibern arbeitslos gemacht, so wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Heerscharen von Schriftsetzern und Jüngern Gutenbergs arbeitslos wurden, als der Computer die Satzarbeit ihnen aus den versierten Händen genommen hat, und keiner mehr eine Druckform im Pressenfundament schließen können musste, weil es gar keine Druckformen aus Lettern mehr gab. Und heute haben wir die Flüche und Segen des Internets, das man dem armen Johannes nun auch noch in die Schuhe schiebt, als weitere Folge der medialen Revolution, die er losgetreten haben soll mit dem Buchdruck. Ob er das so gewollt hätte? Wir können ihn nicht fragen. Und die Antwort tut der Bedeutung des Buchdrucks keinen Abbruch. Durch ihn wurden Bildung und Information in einem Maßstab möglich, der zuvor undenkbar erschien. Auf der ganzen Welt gibt es heute unzählige Schulen, Bibliotheken, Verlage und Buchläden – wenn es auch vielerorts mehr sein dürften, und wenn auch an zu vielen Orten zu viele davon in erschütterndem Maß Brandsätzen und Bomben zum Opfer fallen – das haben andere zu verantworten, nicht der gute alte Johannes. Die Welt ist eine andere geworden, nachdem Gutenberg die Rezeptur für Druckfarbe, die Legierung für Schriftblei und die Druckpresse ausgetüftelt hatte. 
Und deshalb ist das Kulturerbe.

Tag der Druckkunst beim BBK
Drucktechniken als immaterielles Kulturerbe
Museum für Druckkunst in Leipzig Nonnengasse
Museum der Arbeit in Hamburg-Barmbek

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