Advent

Auf der Suche nach dem wesentlichen Unterschied: Die Werk gewordene Entscheidung

Friedensreich Hundertwasser hat seine Graphiken mitunter in limitierten Auflagen von z. T. 10.000 Exemplaren gedruckt. Er hat sich Stempel anfertigen lassen und die Drucke damit signiert. Die Nummern wurden durch Nummerierwerke aufgedruckt, wie auf Bratwurstbons bei der Kirchweih. Andy Warhol hat das Original abgeschafft. Für ihn hatte es keine Bedeutung, wessen Hände ein Werk schufen. Das ist nun erst einmal die Ansicht von Herrn Warhol. Man kann das aber auch mit durchaus guten Gründen anders sehen. Gibt es ihn am Ende doch, den entscheidenden Unterschied zwischen Original, Unikat, Kunstdruck, Reproduktion und Kopie?

Auch wenn die Herren Hundertwasser und Warhol ihre eigenen Standpunkte dazu hatten, heißt das nicht, die Begriffe ‚limitierte Auflage‘ und ‚Original‘ hätten in der Kunst keine Bedeutung mehr. Man muss nur lernen, genauer hinzuhören und hinzusehen. Und man muss akzeptieren lernen, dass nicht alle Kunstwerke über den gleichen Leisten geschlagen werden können. Es hat noch kaum ein Bildhauer seine eigene Bronzegießerei im Hinterstübchen unterhalten können. Bronzeskulpturen haben immer schon eine Gießerei gebraucht und versierte Handwerker, die dem Künstler die Arbeitsschritte abnahmen, die er selber aus technischen Gründen nicht ausführen konnte. Aber diese Mitstreiter mussten auch in seinem Sinne arbeiten. Dies gilt genauso für die Drucker, die Marc Chagalls Lithographien druckten. Auch er hatte keine eigene Steindruckpresse sondern ließ in einer Lithographie-Anstalt drucken. Selbst Picasso bemühte einen Drucker für seine Linolschnitte. Dennoch: Wer in der Filiale einer Möbelkette einen fertig gerahmten Kunstdruck als Dekoration für sein Zuhause ersteht, der hat ein Massenprodukt gekauft. Welten trennen es von dem Original, das es zu zeigen vorgibt. Der Begriff Original leitet sich aus dem Lateinischen her: von origo, der Ursprung. Das ist der Punkt in der Welt, an dem eine Sache anfängt zu existieren. Geht man weiter zurück, dann gibt es diese Sache noch nicht. Es ist sozusagen der Geburtspunkt, davor gibt es nur anderes. 

Originalgraphik: “Red Herring“, Farblinoldruck

Wer Gemälde mag, der ist daran gewohnt, dass Kunstwerke Unikate sind. Ein Maler malt ein Bild, im Sinne von ein einziges seiner Art. Wenn ein zweites, gleiches auftaucht, ist es eine Kopie, wenn viele davon auftauchen sind es Reproduktionen. Kopie wie Reproduktion, das sind keine Originale, in der Umgangssprache wird daraus kurz „Die sind nicht echt.“ Das trifft den Punkt: Kopien und Reproduktionen sind im Normalfall keine echte Kunst, keine authentische Kunst im Sinne des Künstlers. Sie mögen genutzt werden in all den skurrilen Formen des Merchandising, die wir heute schon kennen und morgen noch kennen lernen werden, doch Originale sind sie nicht. Denn: Sie sind nicht ursprünglich. Vor ihnen gab es das schon. Ursprung, Ausgangspunkt ist das Werk des Künstlers, das wurde dann reproduziert, in Form eines Fotos oder eines Scans, und dann in Stückzahl produziert: als Kalendereinband, als Kaffeetasse, als Einkaufstasche, als Regenschirm – oder als fertig gerahmte Instantkunst für den Möbelmarkt.

Da erscheint es am einfachsten, wenn es von dem Werk von vornherein nur ein Einzelstück gibt. Ein Unikat ist zwangsläufig ein Original, wo es mehrere gibt, besteht der Verdacht der Reproduktion. Was ist nun aber der Unterschied zwischen den 20 Exemplaren eines Holzschnittes, die der Künstler selbst druckt und den 2.000 die von einer Druckmaschine ausgespuckt werden? Was ist der Unterschied zwischen den 5 Madonnen, die ein Bildhauer aus dem Block schlägt und den 500 die eine Fräsmaschine freilegt? Was ist der Unterschied zwischen den 10 Vasenobjekten, die der Keramiker formt und brennt und den 1.000, die in Formen gegossen und im Schnelldurchgang erhitzt werden? Der Unterschied ist der Unterschied. Die 20 Holzschnitte aus Künstlerhand sind nicht alle exakt gleich, jede der 5 Madonnen schaut etwas anders und die 10 Vasenobjekte werden nicht identisch sein. Sie sind es nur fast. Oder nur ungefähr. Das bleibt die Entscheidung des Künstlers. Und genau das macht das Original aus: Ein Original ist immer die Werk gewordene Entscheidung des Künstlers. Das Original ist das Resultat eines aktiven Prozesses. Durch seine Signatur bringt der Künstler zum Ausdruck: So habe ich das gemeint. Dies ist, was ich schaffen wollte. Dies und nichts anderes. Die Reproduktion, die Kopie dagegen entsteht nachträglich und oft beiläufig als Ergebnis eines automatischen Vorganges. Eine Maschine arbeitet ihre Befehle ab, stereotyp und völlig passiv. Die einzige Entscheidung, die dabei fällt, ist das Starten des Produktionsvorganges und wie lange er dauern wird. Ein Stück wird wie das Vorige und das danach. Hier ist kein Wille beteiligt. Ob das so gemeint war oder nicht, ist nicht relevant. Und hier liegt der große Unterschied zwischen Original und Reproduktion: Denn genau dies ist es, was für den Künstler relevant ist: dass es so gemeint war, und zwar genau so.

Woran man das sieht? Wer es sieht, der will das Original. Wer es nicht sieht, dem reicht auch die Kopie.

Künstlerbuch und Originalgraphik “Cumbria

Das Begriffsfeld ‚Original‘ in
Der große Brockhaus (Ausgabe 1983, 26 Bände):„original [lat.], ursprünglich, echt; urschriftlich; einmalig“
„originär [frz.], ursprünglich“
„originell [frz.], ursprünglich, schöpferisch; eigenartig, eigentümlich, komisch, urwüchsig“

Der kleine Stowasser (Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch, 1971) gibt folgende Übertragungen:„origo, originis (orior)1. Ursprung, gelegentlich: Abstammung, Geburt, 2. Stamm, Geschlecht, 3. Stammvater, Ahnherrt, gelegentlich: Mutterstadt, Mutterland““orior, ortus sum“1. Sich erheben 2. Aufgehen, sichtbar werden, sich zeigen 3. Entstehen, entspringen 4. Abstammen, geboren werden 5. Wachsen 6. Anfangen anheben

Etymologisches Wörterbuch (Friedrich Kluge, 1963):„Original n. Zu lat. oriri in seiner Bed. ‚entstehen‘ gehört origo f. ‚Ursprung‘, dazu wieder ‚originalis‘ Adj. ‚ursprünglich, das seit 1740 im Nhd. Erscheint und seit 1766 der frz. Form originell weicht. Längst vorher ergibt die Formel lat. originale (exemplar) das Kanzleiwort Original n. ‚Urschrift‘ gegenüber Kopie. So seit 1463.

Urheber- und Verlagsrecht (Gernot Schulze, 1991):„Dies (Anm. Originale) sind nicht nur die Unikate, der Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen, sondern auch Abgüsse, Drucke und Abzüge, soweit sie mit Zustimmung des Künstlers von seiner Vorlage hergestellt, von ihm numeriert und signiert und schließlich wie Originale angeboten werden.

Die Kunst der Graphik (Walter Koschatzky, 1983):
„Original nennen wir in der Kunst eine Eigenschaft: sie bezeichnet die Echtheit eines Werkes – ein Künstler hat es eigenhändig von der Idee bis zur fertigen Realisierung geschaffen, es entstammt also (lat. origo = Ursprung, Herkunft) nur ihm; es ist nicht Kopie, nicht Plagiat, kann aber sehr wohl Replik, d. h. eigenhändige Wiederholung sein. Nicht das Einzigartige also, nicht die Zahl, sondern die Athentizität entscheidet. … Ein Original ist also ein authentisch entstandenes Werk, das vom Künstler selbst auch vervielfältigt werden kann.“

Bei wikipedia (2008)
„Der Begriff Original (von lateinisch: origo Ursprung) bezeichnet den Gegensatz zu Fälschung:
ein echtes Produkt oder Ding im weitesten Sinne, das nicht vorgibt, etwas anderes zu sein als es ist
den Gegensatz zu Kopie: das vom Künstler selbst geschaffene, unveränderte, nicht reproduzierte Exemplar
eine Urfassung: die erste Fassung eines Textes, Buches, Bildes, Kunstwerks etc.
die Vorlage, das Modell (zum Beispiel für ein Gemälde)
einen eigenartigen oder durch bestimmte Charaktereigenschaften auffallenden Menschen …

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *