Advent

Drucken in Fernbeziehung: Sonett 89 von William Shakespeare

Im Jahr 2016 schickte das Centre for the Study of the Book an der Bodleian Library in Oxford einen Aufruf in die Welt: 400 Jahre nach dem Tod des großen William Shakespeare sollten alle seine 154 Sonette noch einmal ganz neu gedruckt werden: von zeitgenössischen Druckkünstlern aus der ganzen Welt. Viele Sonette sind bereits vergeben, mir wird am Ende die Nummer 89 zuteil. Stefan George hat den Text einst übertragen – das Sonett fühlt sich zunächst schwer und düster und fremd an, wird aber mit der Zeit vertraut.

Bodleian Library, Oxford, UK

In dieser Zeit lebe ich in einer Zwischenwelt: die Wohnung in Süddeutschland haben wir im Januar 2015 aufgelöst, Möbel und Habseligkeiten lagern in einem Container bei einer Spedition im Münsterland; wir wohnen mit dem Nötigsten in einer kleinen Dachwohnung mitten in Nottuln, zwischen Dülmen und Münster in Westfalen. Als Provisorium ist das gedacht, eine Interimslösung, bis wir unser neues Zuhause gefunden haben. Der wunde Punkt ist: die Druckwerkstatt ist 500 Kilometer entfernt im schwäbischen Wäschenbeuren geblieben. Wenn ich drucken will, muss ich dorthin. 

Gesetzter Text auf Setzschiff, mit Ahle, Typolineal, Pinzette, Winkelhaken

Also packe ich, was ich brauche zusammen, und mache mich auf den Weg in den Süden – an einem 29. Februar. Drei Wochen gebe ich mir Zeit, für die Arbeit an dem Sonett – und nach Möglichkeit ein paar Kisten packen für den Umzug (wann auch immer der sein wird). Entwürfe und erste Skizzen für das Sonett sind freilich bereits in der Dachwohnung entstanden. Zwei Linolplatten müssen bearbeitet werden, und der Text soll aus der Futura gesetzt sein, komplett aus Kleinbuchstaben. 

Der Berg Hohenstaufen im Winter, wolkenverhangen

Im Schurwald bleibt es spätwinterlich mit Schnee und Eis. Die Nächte sind kalt und dunkel – es ist Neumond am 8. März. Die Fahrten zwischen Quartier und Atelier führen jeden Tag vorbei an Supermärkten, die ihre leeren Bananenkisten draußen auftürmen für diejenigen, die sie brauchen: Antiquare und Leute, die umziehen. Glücklicherweise essen wir alle unglaublich viele Bananen tagtäglich. So kommen unfassbare Mengen an Bananenkisten zusammen – sie werden beim Umziehen des Ateliers eine große Hilfe sein.

Die beiden Linolplatten werden nacheinander gedruckt: blau und rosé, der Text in Schwarz. Nach dem Drucken kommt das Ablegen der Lettern. Und während dieser Arbeit ist da auf einmal eine zweite Sonett-Version vor Augen: der Text gesetzt aus der Baskerville und eingefasst ganz klassisch mit floralen Elementen. Ein passendes Büttenpapier findet sich im Regal. Das Setzen geht gut von der Hand, die Bogen laufen problemlos durch die Grafix Andruckpresse. Am 21. März mache ich mich auf den Rückweg ins Münsterland. In den drei Wochen habe ich zwei Varianten des Sonetts jeweils in Auflage gedruckt, und viele Bananenkisten für den Atelier-Umzug gepackt und aufgestapelt. Was ich noch nicht weiß: Die Nacht auf den ersten Mai wird unsere erste im neuen Zuhause in Oppenwehe sein. 

Amsel auf dem Balkon in Nottuln

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