Advent

Der Wind und wie ihn die Völker der Welt erleben

In der Früh, wenn die großen Bäume kaum von der Dämmerung zu unterscheiden sind, regt sich nichts. Kein Halm, kein Blatt, keine von den Cosmeenblüten, die in der Dunkelheit des Morgens hell leuchten. Noch schläft alles. Langsam taucht die aufgehende Sonne die dunklen Kronen der majestätischen Eichen zuerst in ein olivgrünes Gelb, bevor die Reihe der alten Bäume anfängt golden zu glühen. 

Erst dann kommt der Wind. Ganz sachte, aber dann plötzlich rauschen die Kronen und wiegen sich und die weißen Cosmeen tanzen, als freuten sie sich darüber, dass der Tag beginnt und die Bienen und Schwebfliegen wieder kommen werden und ihre Geschichten erzählen.

Als wir den Resthof übernommen haben, war die unbebaute Fläche des Grundstückes mit Futtergras eingesät. In nahezu homogenem Mittelgrün wogten die Halme in der Windstärke, die eben grade vorherrschte. Im zweiten Sommer hatten wir Stangebohnen gepflanzt. Sie hatten sich ganz gut entwickelt, als im frühen Sommer ein Sturm aufzog. Danach fehlten den Bohnen ihre Triebspitzen – sie waren einfach von den Böen abgerissen worden. Dieses Jahr waren den Sturmböen die „Russischen Riesen“ nicht gewachsen. Diese extrastrammen Sonnenblumen wurden schlicht aus dem Boden gehebelt. 

Oppenweher Bockwindmühle

So kannten wir das nicht. Vor unserem Umzug hatten wir im hügeligen Schurwald gelebt auf einer Höhe von 450 Metern. Ein Sturm, das war so etwas wie der Orkan Lothar – sowas gab es nur sehr ausnahmsweise. Auf den bewaldeten Schurwaldhöhen hatte Lothar seinerzeit viel Holz eingeschlagen, ein Vielfaches der Menge, die die Forstwirtschaft normalerweise geschlagen hätte im Laufe eines Jahres. Die Landschaft hatte sich dramatisch verändert in den paar Stunden, die der Sturm an Weihnachten 1999 getobt hatte. Wir waren volle eineinhalb Stunden ohne Strom gewesen. Es dauerte, gefühlt, Jahre, bis das Sturmholz aufgearbeitet war. Aber normalerweise war Wind keine bemerkenswerte Größe gewesen dort. Die Sommer fielen eher durch schwer lastende Schwüle auf, die nicht weichen wollte, als durch Winde, die hätten Erfrischung bringen können. Um so stärker nahmen wir den Unterschied war nach dem Umzug. Wir haben die Regionen der Berge und größeren Hügel förmlich hinter uns gelassen: Stemweder Berg, Wiehengebierge und Teutoburger Wald liegen alle südlich bzw. südöstlich. Zur Hauptwindrichtung hin ist das Gelände offen und flach. Wir liegen auf ungefähr 40 Metern Höhe. Es ist gar nicht so selten, dass der Wind hier Regenschauer und Hagelkörner im flachen Winkel vor den Fenstern vorbeizieht wie Schleier. 

Künstlerbuch “Manarah 4: Wind

Es lag also nahe, das erste Künstlerbuch in der neu eingerichteten Druckwerkstatt nach dem Umzug dem Thema Wind zu widmen. Das Recherchieren förderte faszinierende Spruchweisheiten und philosophische Gedanken zum Wind zu Tage. Wind ist seit Menschengedenken eine Kraft, die entweder zu nutzen oder zu fürchten, nicht aber zu beherrschen ist. Kein Wunder also, dass sich dazu Mythen, Sagen und Göttergeschichten in nahezu allen Völkern finden. 

Bodleian Library, Oxford, UK

Das Künstlerbuch war im Gepäck als es 2018 zum Fine Press Book Fair nach Oxford ging. Der Jury der Oxford Guild of Printers hat es so gut gefallen, dass dem Buch der erste Preis zugesprochen wurde für „Best Single Section Booklet“.

Die Spruchweisheiten der verschiedenen Völker, einige Gedichte bekannter Autoren wie Rilke, Storm oder Hofmannsthal, und die Beaufort-Skala sind zu einem Werk verwoben, das auch Lust machen will, einfach mal dem Wind zuzuhören, zu sehen, wie er übers flache Land streicht, wie er das Laub der Bäume tanzen lässt, zu beobachten, wie vergnügt die Krähen mit seinen Böen spielen. 

Künstlerbuch “Manarah 4: Wind
Linolblock und Satz auf Setzschiff, fertig zum Druck in der Presse

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