Advent

Warum Bücher verbrennen keine gute Idee ist.

Ich war mal auf einer Messe in Frankfurt. Das ist schon so lange her, dass es sich anfühlt, als wäre es in einem anderen Leben gewesen. Aber dann fühlen sich Besuche auf der Frankfurter Messe ja ohnehin immer an, als wäre man in ein anderes Leben geraten. Mit der Klimaanlage, mit den befremdlichen Transportbändern für Menschen, mit der völligen Abwesenheit von Bänken oder Stühlen, um sich hinzusetzen, nicht um ein Hotdog zu essen (dafür gibt es genug Stühle), sondern einfach um die von allem, was es zu sehen gibt, aufgewühlten Wogen im Kopf etwas zur Ruhe kommen zu lassen, und vielleicht auch die Beine. Oder wenigstens die Füße. Aber wie gesagt, das ist schon ziemlich lange her. Jedenfalls habe ich auf einem der Messestände eine große Tasche Buntes mitbekommen, und als ich zuhause alles auspackte, fanden sich in einer kleinen Schachtel aus weißem Karton eine Reihe von Kühlschrankmagneten mit klugen Sprüchen drauf. Gemacht waren sie wie kleine Bilderrähmchen aus buntem Plastik und in jedem drin steckte ein gedrucktes Zettelchen mit einem klugen Spruch. Einer lautete: „Wissen macht zaghaft. Dummheit kann alles.“ Nur sechs Wörter und soviel Weisheit.

Einblattdruck “Escaping the Embers“,
Linoldruck, Untermalung mit Farben aus Erdpigmenten, Handsatz aus Bleilettern

Es hat den Anschein, dass Bücher verbrannt wurden, seit es brennbare Bücher gibt. Wenn sie nicht gerade aus geritzten Tonplättchen gemacht sind, dann werden vermutlich die allermeisten Bücher mehr oder weniger gut in Flammen aufgehen. Die meisten Bücher, die ich gesehen habe, sind aus Papier, und der Einband ist vielleicht mit Stoff oder mit Leder bezogen. Ganz alte Bücher haben unter dem Leder noch Buchdeckel aus Holz und dicke Bünde aus Hanfschnüren. In China wurden Texte vor sehr langer Zeit auch auf Seidengewebe geschrieben. In anderen Regionen hat man Bücher aus Papyrus gemacht, in Rollenform. Aber weil dieses Material so spröde ist und mit der Zeit altert und zerfällt, mussten diese Schriftrollen regelmäßig abgeschrieben werden. Einmal habe ich ein Buch sehen dürfen, das war komplett aus Seehundhaut gemacht. Anfassen durfte ich es nicht, es war ein sehr altes, historisch wertvolles Stück in einer königlichen Bibliothek. Aber ich konnte es von ganz nah anschauen. Die Innenseiten waren eng beschrieben mit heiligen Gesängen. Am Einband war außen noch Fell. Es war ein Buch aus Island. Es strahlte eine ehrfurchtgebietende Ruhe aus.

Die Liste an Bibliotheken, die durch Kriege oder gezielte Brandstiftung zerstört wurden, ist sehr lang. Frühe Fälle reichen zurück bis 364 und 391 vor Christus. Es waren die Bibliotheken in Alexandria und Antiochia. Es gibt tatsächlich Bücher, die vom Bücherverbrennen erzählen. Eines ist noch gar nicht so alt. Es ist „Die Bücherdiebin“ von Markus Zusak. Im Moment lese ich ein Buch über ein paar sehr alte Bücher, die über Jahrhunderte großen Einfluss in der Welt hatten. Die Autorin Violet Moller hat versucht zu verfolgen, wie es den epochalen Werken der Antike ergangen ist in dem Jahrtausend zwischen 500 und 1500 nach Christus, also im Mittelalter. Sie hat sich auf die Suche gemacht, die Spuren der grundlegenden Werke zur Medizin des Galen von Pergamon, die des „Almagest“ von Ptolemäus und die von Euclids „Die Elemente“ zu verfolgen. Violet Moller erzählt welche Herrscher die Wissenschaften in dieser Zeit förderten, indem sie Bibliotheken bauten und Bücher kopieren und in andere Sprachen übersetzen ließen. Sie erzählt von den Zentren des Wissens, der Wissenschaften und der Forschung in diesen Zeiten, von Alexandria und Bagdad, von Toledo und Venedig. Sie erzählt aber auch davon, wie oft in diesen Tausend Jahren die Bibliotheken, die Schriften und Bücher zerstört wurden von nachfolgenden Eroberern oder reliögen Fanatikern. Viele Texte und Erkenntnisse sind dadurch unwiederbringlich verloren gegangen. Wir können nicht sicher sein, tatsächlich eine vollständige Ausgabe von Euklids großem, mathematischen Werk „Die Elemente“ irgendwo stehen zu haben. Möglicherweise sind alles, was wir haben, nur Abschriften von Teilen und Abschriften von Übersetzungen von Teilen. Ein Original existiert womöglich nicht mehr. Gleiches gilt für das umfangreiche medizinische Werk von Galen. Galen war Arzt in Rom während einer Pandemie, der sogenannten Antoninischen Pest, in den Jahren um 170 n. Chr. Der Begriff Pest hat lateinischen Ursprung: pestis oder pestilencia bedeutet schlicht Seuche, und war ursprünglich nicht auf einen speziellen Erreger bezogen, sondern lediglich auf Krankheiten, die sich stark ausbreiteten und an denen viele Menschen starben. Heute gehen wir, auf Grund der sehr genauen Beobachtungen Galens, davon aus, dass es sich entweder um Pocken oder eventuell Masern gehandelt haben könnte. Die Antoninische Pest führte über einen Zeitraum von 24 Jahren zur Entvölkerung ganzer Dörfer. Es starben zeitweise bis zu 2000 Menschen täglich. Über die gut ausgebauten Verkehrswege der Römer verbreitete sich die Seuche an die Donau, den Rhein und bis nach Britannien. 

Was, wenn in einer von Galens zahlreichen Schriften ein Passus enthalten gewesen wäre darüber, wie man die Ausbreitung einer Seuche, gegen die man noch kein Medikament zur Verfügung hat, verzögern, eingrenzen oder gar stoppen kann, und dieses Traktat wäre verloren gegangen, weil einer eine Bibliothek zerstört hat, die von jemandem mit anderem Glauben als er selbst gebaut und eingerichtet worden war? Oder einfach weil der Neue alles zerstören wollte, was sein Vorgänger geschaffen hatte?
Wissen macht zaghaft. Dummheit kann alles.

Einblattdruck William Butler Yeats “Where My Books Go“, Untermalung mit Farben aus Erdpigmenten

Zum Nachlesen:
Violet Moller „The Map of Knowledge“, Picador 2020.

Markus Zusak „The Book Thief“, Black Swan Books, 2005, London. (deutsch „Die Bücherdiebin“)

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