Advent
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Drucken in Fernbeziehung: Sonett 89 von William Shakespeare
Im Jahr 2016 schickte das Centre for the Study of the Book an der Bodleian Library in Oxford einen Aufruf in die Welt: 400 Jahre nach dem Tod des großen William Shakespeare sollten alle seine 154 Sonette noch einmal ganz neu gedruckt werden: von zeitgenössischen Druckkünstlern aus der ganzen Welt. Viele Sonette sind bereits vergeben, mir wird am Ende die Nummer 89 zuteil. Stefan George hat den Text einst übertragen – das Sonett fühlt sich zunächst schwer und düster und fremd an, wird aber mit der Zeit vertraut. In dieser Zeit lebe ich in einer Zwischenwelt: die Wohnung in Süddeutschland haben wir im Januar 2015 aufgelöst, Möbel und Habseligkeiten lagern in einem Container bei einer Spedition im Münsterland; wir wohnen…
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Auf der Suche nach dem wesentlichen Unterschied: Die Werk gewordene Entscheidung
Friedensreich Hundertwasser hat seine Graphiken mitunter in limitierten Auflagen von z. T. 10.000 Exemplaren gedruckt. Er hat sich Stempel anfertigen lassen und die Drucke damit signiert. Die Nummern wurden durch Nummerierwerke aufgedruckt, wie auf Bratwurstbons bei der Kirchweih. Andy Warhol hat das Original abgeschafft. Für ihn hatte es keine Bedeutung, wessen Hände ein Werk schufen. Das ist nun erst einmal die Ansicht von Herrn Warhol. Man kann das aber auch mit durchaus guten Gründen anders sehen. Gibt es ihn am Ende doch, den entscheidenden Unterschied zwischen Original, Unikat, Kunstdruck, Reproduktion und Kopie? Auch wenn die Herren Hundertwasser und Warhol ihre eigenen Standpunkte dazu hatten, heißt das nicht, die Begriffe ‚limitierte Auflage‘…
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Der Wind und wie ihn die Völker der Welt erleben
In der Früh, wenn die großen Bäume kaum von der Dämmerung zu unterscheiden sind, regt sich nichts. Kein Halm, kein Blatt, keine von den Cosmeenblüten, die in der Dunkelheit des Morgens hell leuchten. Noch schläft alles. Langsam taucht die aufgehende Sonne die dunklen Kronen der majestätischen Eichen zuerst in ein olivgrünes Gelb, bevor die Reihe der alten Bäume anfängt golden zu glühen. Erst dann kommt der Wind. Ganz sachte, aber dann plötzlich rauschen die Kronen und wiegen sich und die weißen Cosmeen tanzen, als freuten sie sich darüber, dass der Tag beginnt und die Bienen und Schwebfliegen wieder kommen werden und ihre Geschichten erzählen. Als wir den Resthof übernommen haben, war die unbebaute Fläche des Grundstückes mit Futtergras eingesät. In nahezu…
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Farbenspiel am Druckbogen – die Varianten der Kolorierung
Der Druck mit beweglichen Lettern gehört zu den Techniken des Hochdruckes. Diese zeichnen sich mitnichten durch die Anwendung besonders hohen Druckes aus. Ganz im Gegenteil: gerade bei der Arbeit mit Bleilettern will der Anpressdruck wohl dosiert sein, um die Lettern nicht unnötig zu strapazieren und zu beschädigen. Im Hochdruck werden Druckplatten verwendet, die ein Relief, also Höhenunterschiede, aufweisen, und es wird von den hoch stehenden Bereichen gedruckt – von da leitet sich das „Hoch“ im Hochdruck her. Die tiefen Region nehmen keine Farbe auf und bleiben blind, will heißen auf dem Druckbogen unsichtbar. Für die Druckstöcke lassen sich viele Materialien verwenden, häufig fällt die Wahl auf Holz oder Linoleum, aus dem die jeweils blind…
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Versuch über ein künstlerisches Format: Buchkunst
Kann ein Buch Kunst sein? – Was ist ein Künstlerbuch?Ein Essay von Annette C. Dißlin – Buchkünstlerin – anlässlich des 20-jährigen Bestehens ihres Ateliers Wir schreiben das Jahr 2019 und alle reden vom Bauhaus. Einer der damals schon revolutionär anmutenden Ansätze der Bauhausleute war es, die Brücke zu schlagen zwischen Handwerk und Kunst. Die Mauer zwischen beiden sollte eingerissen werden, die Trennung aufgehoben. Sie sollten eins werden, weil sie eins seien: „Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker.“ so formulierte es Walter Gropius im Bauhausmanifest anno 1919. Aber das Bauhaus ging dann doch einen anderen Weg. Und so reden wir uns auch heute noch die Köpfe heiß über die Abgrenzung zwischen reiner und…
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Mit Kopfrechnen zum Textblock: Handsatz aus Bleischriften
„Nach Anlage A des Deutschen Buchdruckertarifes ergibt sich im Handsatz eine stündliche Satzleistung von rund 1540 Buchstaben für 8-10 p Antiqua und rund 1600 Buchstaben für 8-10 p Fraktur, … bei einer Satzbreite von mehr als 45 Buchstaben …“ und„Bei glattem Satz beträgt die Ablegezeit etwa ein Viertel der Satzzeit, bei Akzidenzsatz mit vielen Zier- und Steckschriften etwa ein Drittel der Satzzeit.“So zu lesen in „Die Gehilfenprüfung als Schriftsetzer“ von Walter Mehnert aus dem Jahr 1961. Letter für Letter zur Kolumne – Seite für Seite zum Buch. Die angegebene Satzleistung für eine Stunde entspricht ganz grob der Menge Text auf einer halben DIN A4-Seite in einem der uns heute vertrauten Textverarbeitungsprogramme. Der Schriftsetzer hantiert bei seiner Arbeit allerdings nicht…
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Die Schriften im Atelier
Die ersten beiden Kästen mit Schrift kamen zusammen mit der KORREX Andruckpresse im Jahr 1998. Es waren ein Antiqua-Kasten Optima im Schriftgrad 10 Punkt und ein Steckschrift-Kasten Hammer-Unziale im Schriftgrad 24 Punkt. Beide sind noch immer im Bestand. Nach über zwei Jahrzehnten sind sie in guter Gesellschaft: aktuell gehören geschätzte 10 Tonnen an Bleischriften in gut drei Dutzend Setzregalen zum Schriftenbestand des Ateliers The Fork and Broom Press. Das sind über 100 unterschiedliche Schriften, darunter ungefähr 20 gebrochene Schriften, also gotische und Frakturschriften. Die Schriften kamen von überall her auf allen erdenklichen Wegen. Nicht wenige haben wir von Peter Vöge erstanden. Etliche Jahre lang haben wir uns einmal im Jahr zusammen mit Tita, unserer treuen Druckerhündin,…
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Reisen mit Druckpressen und andere annähernd unmögliche Unternehmungen
Kesselflicker, Scherenschleifer, Lumpensammler, Bänkelsänger: das fahrende Volk war ein buntes und nicht wenigen unter ihnen haftete der Ruch des Unseriösen an. Wer ganz sicher nicht dazu gehörte, das waren die Drucker. Der gute Johannes Gensfleisch zum Gutenberge hätte vermutlich recht ratlos dreingeblickt, wäre jemand ihm mit der Idee gekommen, er könne doch mit seiner Druckerei auch auf Reisen gehen. Beim Buchdruck sind lediglich die Lettern beweglich, der ganze Rest mag lieber da bleiben, wo er schon ist. Ein Umzug einer Werkstatt mit Druckpressen und Setzregalen, gefüllt mit Bleischriften, ist zwar kein Himmelfahrtskommando, aber ein gehöriges Abenteuer. Ich weiß, wovon ich rede: ich habe mein Atelier zwei Mal umgezogen. Im Jahr…
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Adventskalender 2020
Weil es in den vergangenen rund zehn Monaten so herzlich wenig Gelegenheiten gab, all die vielen Geschichten zu erzählen, die zu meinem Atelier, zu meiner Arbeit und zu meinen Künstlerbüchern gehören, wird es dieses Jahr hier einen ganz speziellen Adventskalender geben: Am 1. Advent geht es los, und dann wird sich jeden Tag hier auf diesen Seiten unter der Rubrik „Advent“ ein Türchen öffnen, und hinter jedem Türchen steckt eine andere Geschichte. Bis zum Heiligen Abend werden so 26 Geschichten rund ums Drucken und Büchermachen beim Atelier The Fork and Broom Press zusammenkommen. Diesen Adventskalender kann man jeden Tag rund um die Uhr besuchen. Er erzählt Geschichten aus zwei Jahrzehnten Buchkunst im eigenen Atelier, er erzählt von den…